Wolfsburg. Ein neues Prüfverfahren soll zu genaueren Angaben bei Verbrauch und Schadstoffausstoß führen. Davon profitiert auch die Staatskasse.

Kurz nachdem sich der Testfahrer hinter das Lenkrad des Fahrzeugs auf dem Rollenprüfstand geklemmt hat, sagt dessen Chef Richard Preuß: „Sein Job ist alles andere als einfach. Wenn der Fahrer sich nur einmal einen Fehler erlaubt, hat er gleich 2000 Euro in den Sand gesetzt.“ Preuß verantwortet bei VW in Wolfsburg den Bereich Abgaszulassung und Fahrzeugprüfstände – und ist somit dafür zuständig, die aktuellen Neuerungen in Sachen Normen umzusetzen.

Seit dem 1. September gilt für die Ermittlung des Verbrauchs

die WLTP-Norm, zumindest bei

Modellen, die erstmals eine Typzulassung bekommen. Ab 1. September 2018 muss dann jeder Neuwagen so gemessen werden. Hinter den Buchstaben verbirgt sich das Wortungetüm „Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure“. Das neue Testverfahren löst das bisherige NEFZ-Prozedere (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab.

Nach dem NEFZ wurden seit 1992 Abgaswerte und Verbräuche für die Autos durch die Hersteller angegeben, was bei den Kunden oft zu Ärger führte. Denn kaum einer der Werte konnte im normalen Fahrbetrieb auf der Straße bestätigt werden. Selbst bei zurückhaltender und disziplinierter Fahrweise waren die Verbrauchsangaben durch die Hersteller nicht erreichbar, denn diese waren – dank legaler Tricks – viel zu niedrig taxiert.

Genau das soll nun besser werden. Das neue Prüfverfahren, sagt Jan Dössing, der die Projektleitung bei VW für das WLTP verantwortet, bringe „realistischere Werte“. Allein die Formulierung zeigt, auf welch ungutem Terrain sich die Autohersteller hier bewegen. Denn eigentlich kann es nur realistische (also korrekte) Werte geben – oder falsche. Werte, die nach WLTP ermittelt werden, sollten Autofahrer in der Praxis also erreichen können – zumindest, wenn sie sich bemühen, spritsparend zu fahren. In Wolfsburg sind 21 Prüfstände aufgebaut worden, die rund 100 Millionen Euro gekostet haben, wie Preuß sagt. Gearbeitet wird an sechs Tagen fast rund um die Uhr, und zwar in einer Art Hochsicherheitstrakt. Wer hier hinein möchte, um den Prüfingenieuren auf die Finger zu schauen, muss sein Handy abgeben. Fotos sind unerwünscht.

Das neue Verfahren ist nicht als unmittelbare Reaktion auf den Abgasskandal erfunden worden, sondern wurde von den Vereinten Nationen bereits vor zwölf Jahren angeschoben. Um reale Fahrsituationen simulieren zu können, wurden Fahrdaten in 14 Ländern erhoben, von denen bis auf Deutschland alle Tempolimits auf der Autobahn haben.

„Wir nehmen das Thema sehr ernst“, sagt Christoph Kohnen, der bei VW für die Einhaltung der Gesetzgebung bei Abgas und Verbrauch verantwortlich ist. Für die Kunden bedeutet das: Die Werte in Prospekten und Dokumenten werden steigen – und damit wohl auch die KFZ-Steuern. Denn die werden auch nach den Abgasangaben für das einzelne Fahrzeug berechnet. Für die Staatskasse wird der zu erwartende Kohlendioxid-Anstieg zu Mehreinnahmen führen – obwohl die Steuersätze gar nicht angehoben werden.

Dem Testfahrer, der einen VW auf dem Rollenprüfstand hinter einer Glasscheibe fährt, unterlaufen unterdessen erste Fehler. Allerdings nur minimale, die sogar Preuß akzeptiert. Nur ein Roboter könnte die Vorgaben genauer erfüllen, und genau das ist beim WLTP-Test nicht gewünscht. Der „menschliche Faktor“, zu dem kleine Abweichungen von der Norm gehören, sei gewollt. Dem Fahrer sind genaue Beschleunigungsphasen vorgegeben, und er hat zu schalten und zu bremsen, wenn es ihm das Diagramm vorschreibt, das er auf einem Monitor direkt neben dem Lenkrad sieht. Im Kontrollraum vor der Glasscheibe kann Preuß verfolgen, wie präzise sein Testfahrer arbeitet.

Ein Fahrer absolviert am Tag in der Regel acht Testläufe. In der Zeit dazwischen werden die Autos auf den Prüfständen ausgetauscht und verkabelt. Im Kontrollzentrum werden sie mit „Stringos“, kleinen Lastenfahrzeugen, per Hand durch die Hallen geschoben. Sogar die Außentemperatur ist vorgeschrieben: 23 Grad.

Aber es sind nicht allein die gegenüber dem alten Verfahren längere Dauer des Tests (jetzt bis zu 30 Minuten, vorher zwölf Minuten) sowie die multiplen Fahrsituationen, die zu präziseren Ergebnissen bei Verbrauch und Abgasen führen. Künftig werden die Fahrzeuge auch individuell bewertet. Wer sein Auto mit Allradantrieb (in der Regel zu 50 Kilogramm Mehrgewicht) und einer Anhängerkupplung ausstattet oder ein schweres Panoramaschiebedach wählt, verbraucht mehr und stößt entsprechend mehr CO2 aus. Bei VW (und vermutlich auch bei anderen Herstellern) wird dem Kunden ein Konfigurator künftig nicht nur die mit der besseren Ausstattung einhergehenden höheren Preise anzeigen, sondern auch den höheren Schadstoffausstoß. Auch Reifengrößen und Lacke (wegen des Luftwiderstandes) spielen beim Verbrauch eine Rolle.

Eine andere Komponente in den neuen Testzyklen betrifft den Ausstoß von Stickoxiden (NOx). Hier schreiben die Normen künftig vor, dass der Abstand zwischen Prüfstand und Straßenpraxis zumindest deutlich sinken muss. Während im realen Fahrbetrieb manche Autos bislang mehr als das Zehnfache des zulässigen Grenzwertes emittieren konnten, weil es für sie gar keine obligatorische Prüfung des Realbetriebs gab, soll es das bei künftigen

Modellen nicht mehr geben.

Deshalb wird der NOx-Ausstoß in Zukunft auch auf der Straße getestet, bei einem Real-Driving-Emissionstest (RDE). Der dauert anderthalb bis zwei Stunden, beginnt mit einem Kaltstart und läuft bei 90 Prozent der maximalen Zuladung. Auf der Straße darf dieser Test dann nur noch eine Abweichung um das maximal 2,1-Fache des Wertes vom Rollenprüfstand ergeben.