Wolfsburg. Auf der IAA wird im September der neue VW Polo vorgestellt: ein Kleinwagen, der groß geraten ist – und so dem Golf gefährlich wird.

Der Platz hinter dem Lenkrad bietet ungewöhnliche Ansichten, vor allem für einen Kleinwagen. Die Moderne hat Einzug gehalten bei VW, und das ausgerechnet und gut sichtbar im neuen Polo. Durch die Speichen des Lenkrads ist beispielsweise ein großer Bildschirm erkennbar, auf dem fast alles zu sehen ist, was während der Fahrt wichtig sein kann, von Navigationskarte bis zu Mediaanzeigen. VW nennt das „Active Info Display“. Die Oberflächen sind farbig, acht Varianten stehen zur Verfügung, die dunklen Kunststoffe wirken hochwertig.

Fast alles an dem Auto ist innen wie außen neu gestaltet. VWs Ingenieure hatten durch das Lastenheft diverse technische Details abzuarbeiten, aber vor allem ging es wohl um ein Gesamtkunstwerk. Ein Auto, das seine Betrachter verblüfft. Das Eindruck schindet und ein Multitalent ist. So bietet der neue Polo durch erheblichen Platzgewinn mehr Alltagstauglichkeit, durch technische Helfer hohe Sicherheit und durch frisches, modernes, aber unaufdringliches Design die Chance, junge Kunden anzusprechen. Der Polo vor allem ein Zweitwagen für die Ehefrau? Das war einmal.

Nach der Vorstellung wird der neue Kleine zumindest vorübergehend negative Schlagzeilen um die Marke aus Wolfsburg vertreiben können. Das ist aus Unternehmenssicht sicher nicht schlecht. Klaus-Gerhard Wolpert hat als Leiter der Baureihe Small den neuen Polo entwickelt und natürlich verbindet er, wie sein Nachfolger ab September, Andreas Krüger, mit dem jüngsten Spross der Familie die Hoffnung, dass der Kleinwagen wieder die Spitze des Segments gegen den Ford Fiesta und den Renault Clio erreicht. So war es schließlich bis 2016, in Deutschland und europaweit.

Um das Ziel zweifelsfrei zu erreichen, hat sich VW von Fesseln befreit. Und das könnte Folgen haben, die Risiken bergen. Mit einer Länge von 4,05 Metern (vorher 3,97) ist der Polo enorm gewachsen. Der Radstand, Indikator für den Platz innen, legte sogar um 9,4 Zentimeter auf 2,56 Meter zu. Auch in der Breite wurde der Neuling um sieben Zentimeter auf 1,75 Meter größer.

Der Platz vorn wie hinten unterscheidet sich gefühlt durch nichts vom Golf. Dabei spielt auch eine Rolle, dass VW nun erstmals bei der Konstruktion des Kleinwagens als Basis auf den „modularen Querbaukasten“ (MQB) zurückgreift. Das Wortungetüm beschreibt die Vereinheitlichung von Baugruppen, die auf diverse Modellreihen anwendbar sind. Getriebe und Motoren werden dabei jeweils quer eingebaut, was unter anderem Platzvorteile bringt und eine Bauweise mit kurzen Überhängen, wie nun auch beim Polo, ermöglicht. Wie dicht der neue Polo dem Golf auf den Fersen ist, wird auch durch den Kofferraum deutlich. Mit einem Volumen von 351 Litern trennen den kleinen Bruder vom größeren der Kompaktklasse gerade einmal kümmerliche 29 Liter.

Jeder Kunde wird sich künftig einmal mehr überlegen, ob es tatsächlich noch lohnt, den Golf zu kaufen. Zumal der Polo innen frischer wirkt und moderner. Nichts an diesem Auto vermittelt Biederkeit. Der Einstieg (Trendline-Ausstattung) beim Polo mit einem Dreizylinder mit 48 kW (65 PS, Verbrauch: 4,8 Liter nach VW-Angaben) ist ab knapp 13 000 Euro möglich – ein theoretischer Wert. Dann ist der Spaß am neuen Auto schon drastisch eingeschränkt. Eine Klimaanlage und ein Radio fehlen an Bord.

Die Ausstattung Comfortline dürfte es in der Regel wohl auch bei Kunden in Deutschland sein, zum Preis ab 15 150 Euro. Diesen Wert sollten potenzielle Kunden im Kopf behalten, nicht das Lockangebot. Aber der Polo dürfte auch bei diesem Preis zu einer Bedrohung des Golf werden, zu einem ernsthaften Konkurrenten. Hersteller sprechen dabei intern gern von einem Kannibalisierungseffekt. Ein Konkurrent war er zwar schon immer, aber noch nie dürfte er dem Golf so nahe
gekommen sein. Multikollisionsbremse, Müdigkeitswarner und die Fußgängererkennung Frontassist sind Serie. Als Sonderausstattung gibt es noch die automatische Distanzregulierung ACC.

Drei Motoren gibt es zum Start des Neulings, davon einen Vierzylinder mit 95 PS; Verbrauch laut VW: 4,5 Liter. Drei weitere werden folgen, darunter ein Diesel in zwei Leistungsstufen. Eine E-Variante wird es nicht geben, was angesichts der nach wie vor geringen Nachfrage verständlich ist. Wer besonders sauber fahren möchte, muss einen Aufpreis von rund 2000 Euro investieren und kann dann, neben einem 40-Liter-Tank, auf Treibstoff aus zwei Erdgastanks zurückgreifen.

„Wir haben einen Riesenschritt nach vorn gemacht“, sagt Wolpert. „Und können stolz sein, dass der neue Polo einen eigenen Charakter hat.“