Essen. Viele Preisforderungen bei der am Sonntag endenden Techno Classica in Essen entsprechen eher Wunschdenken.

Könnten Autos Mitleid empfinden, würden ihre Scheinwerferaugen Wischwasser-Tränen vergießen beim Anblick des
kleinen Toyota Starlet in der
hinterletzten Ecke des Außengeländes der Techno Classica in
Essen: Waschmaschinen-Weiß, Baujahr ’85, 2900 Euro. Rund
40 Mal höher liegt der Versicherungswert der 2699 übrigen automobilen Klassiker auf der weltgrößten Oldtimermesse: im Schnitt 130 000 Euro.

Der Markt um das rostigste Hobby der Welt boomt seit Jahren in den westlichen Ländern und besonders auch im deutschen Autoland. Die fein diversifizierte Branche ist schwer in Zahlen auszudrücken, doch die Zuwachsraten flachen sich ab. Manche Beobachter sprechen bereits von Anzeichen einer Blase – einer sich langsam aufblähenden Rostblase unter dem noch glänzenden Lack an der Oberfläche sozusagen. Zumindest entspringen viele der ausgeflaggten Preise auf der Techno Wunschdenken und dem Glauben an eine immer weiter steigende Nachfrage nach „Gold-Blech“, angeheizt durch niedrige Zinsen bis in den Negativbereich und die vollen Geldbörsen einer Erbengeneration „40 plus“. Diese sehnt sich nach den Traumwagen ihrer Kindheit, und das sind nicht mehr die Autos der 50er- und 60er-Jahre.

„Specollectors“, ein zusammengesetztes Wort aus den englischen Begriffen für „Spekulant“ und „Sammler“, hatten die Preise auf Rekordwerte getrieben. „Nach fünfjährigem, teilweise dramatischem Preisanstieg hat sich der Markt jetzt wieder beruhigt“, sagt Frank Wilcke, Geschäftsführer des Marktbeobachters Classic Car Analytics aus Bochum. „Manche Preise sind sogar leicht zurückgegangen.“

Selbst für den VW Bulli lassen

sich 100000 Euro ausgeben

Über alledem schwebt das Damoklesschwert von möglichen Fahrverboten für Oldtimer. Gerd Kummetat (70) ist seit fast 35 Jahren auf alle Motoren spezialisiert, solange sie luftgekühlt sind und von Volkswagen kommen. Längst sind seine Kunden keine Alltagsauto-, sondern Oldtimerfahrer, und er hat selbst für das Volkswagen-Museum bereits Käfer auf die Beine gestellt. Sohn Andreas ist
genauso alt wie die väterliche Garage und einer von vier Festangestellten. Dazu kommen drei Aushilfen, darunter zwei Rentner mit unschätzbarem Wissen über den Umgang mit alten Maschinen. Ein Nachwuchsproblem in der Kundschaft sieht der designierte Nachfolger Andreas Kummetat nicht. Fahrverbote allerdings oder höhere Steuern würden dazu führen, dass sich viele von ihrem alten VW trennen.

Kummetat und Classic Car Analytics zählen zu den vielen mittelständischen Gewinnern des Oldtimerbooms, der sich an der sprunghaften Entwicklung der 1989 erstmals veranstalteten Techno Classica ablesen lässt. In den Anfängen war Oldtimerei eher ein Hobby für Schrauber und
Enthusiasten in Garagen und Hinterhöfen. Diese Szene ist in Essen längst als Folklore an den Rand gedrängt worden. Große Händler geben den Ton an, und die wollen mit hochpreisigen Traumwagen Kasse machen. Aber selbst für einen eher rustikalen VW Bulli lassen sich in Essen an die 100 000 Euro ausgeben.

Die großen Automobilhersteller sind den Weg von der reinen Pflege des kulturhistorischen Erbes in die Kommerzialität mitgegangen. Mercedes belegt in Essen eine eigene Halle und hat keine Skrupel, auch Neuwagen wie den flügeltürigen SLS zu präsentieren. Ebenso wenig Skrupel haben die Stuttgarter im vergangenen Jahrzehnt gehabt, die Preise für unverzichtbare Ersatzteile teilweise zu verzehnfachen. „Mehrere Millionen Kunden kaufen jedes Jahr unsere Ersatzteile, besuchen unser Museum, fragen unser Archiv, sehen unsere Autos und Motorräder bei den historischen Veranstaltungen“, sagt Manfred Grunert, Leiter der BMW-Abteilung Archiv, Sammlung und Classic Brand Management, zur Bedeutung für das Unternehmen.

Auch wenn das keine praktischen Auswirkungen hat: Als historisch eingestufte Fahrzeuge mit H-Kennzeichen sollen bei der kommenden PKW-Maut wegen ihrer Schadstoffbelastung in die teuerste Kategorie eingestuft werden. Die voraussichtlich 130 Euro pro Jahr können zwar von der pauschalierten KFZ-Steuer von 192 Euro für Autos mit H-Kennzeichen abgezogen werden, dennoch ist dies kein gutes Omen für zukünftige Regulierungen.

Die meisten Oldtimer haben natürlich keine Abgasreinigung

Bislang profitieren die Besitzer historischer Fahrzeuge in mehrfacher Hinsicht: bei hubraumstarken Wagen wie Ami-Schlitten von der begrenzten KFZ-Steuer, ansonsten sind alle von den Fahrverboten in der zunehmenden Zahl von Umweltzonen ausgenommen. Allein in der zusammenhängenden Groß-Umweltzone Ruhrgebiet wären ohne diese Regelung Zehntausende „H-Fahrer“ zum Schieben verurteilt.

Das H-Kennzeichen für mindestens 30 Jahre alte Mobile wurde 1997 eingeführt. Niemand hätte damals geglaubt, dass 20 Jahre später die Zahl der als historisch eingestuften PKW bald die halbe Million erreicht. Die meisten von ihnen haben keine Abgasreinigung und stoßen teilweise das Mehrhundertfache an gesundheitsgefährlichen Schadstoffen aus als die modernsten Neuwagen, die tatsächlich und nicht nur beim Prüfstandslauf die Abgasnorm EU 6 erfüllen. Und viele der
H-Kennzeichenträger werden von ihren Besitzern wie Zweitfahrzeuge eingesetzt und nicht nur für wenige Kilometer bei sporadischen Ausfahrten wie „echte“ Oldtimer aus der Vorkriegszeit.

Momentan nur hinter vor-
gehaltener Hand argumentieren Umweltschützer aber bereits,
dass dies auf Dauer nicht so weitergehen könnte, besonders wenn es um die Luftbelastung der Innenstädte geht. Noch liegen der Diesel und gefälschte Abgas- und Verbrauchswerte im Fokus der Öffentlichkeit. Dies kann sich jedoch recht schnell ändern.

In den einst Oldtimer-freundlichen Niederlanden haben Neuregelungen den Markt bereits ganz empfindlich getroffen. Nach entsprechenden Verschärfungen sei dort laut Gerd Kummetat beispielsweise der Markt für alte Käfer zusammengebrochen.