Braunschweig. Matthias Lossau und Bernhard Fehr forschen am Braunschweiger Institute for Transportation Design zur Zukunft urbaner Mobilität.

Eigenes Auto, Fahrrad, Straßenbahn oder Stadtbus: Mobilität hat, besonders in Großstädten, viele Facetten. Wie sich urbane Mobilität in Zukunft verändern wird, damit beschäftigen sich die Designer Matthias Lossau und Bernhard Fehr am Braunschweiger „Institut for Transportation Design“, das an der HBK beheimatet ist. Mit den beiden Experten sprach Sarah Peters.

Wie werden sich Großstädte in den nächsten 50 Jahren verändern?

„Wenn wir von zukünftiger Mobilität reden, dann reden wir nicht von dem Auto, dem Fahrrad oder dem ÖPNV, sondern von der Vernetzung der Systeme.“
„Wenn wir von zukünftiger Mobilität reden, dann reden wir nicht von dem Auto, dem Fahrrad oder dem ÖPNV, sondern von der Vernetzung der Systeme.“ © Bernhard Fehr darüber, wie er sich die Mobilität der Zukunft vorstellt.

Fehr: Das heutige Stadtbild ist nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Automobilverkehr ausgerichtet worden. Braunschweig ist ein sehr gutes Beispiel für Auto orientieren Städtebau. Wenn man sich zu Fuß durch die Stadt bewegt, dann wird man überall durch Autoinfrastruktur limitiert. Das Auto prägt unser Stadtbild. In Zukunft wird das Verkehrsgeschehen vielfältiger werden aufgrund veränderter Bedürfnisse der Menschen.

Warum wird das eigene Auto von vielen Großstädtern als „Klotz am Bein“ empfunden?

Lossau: Parkraumbewirtschaftung wird zunehmen. Die Preise steigen an, denn was rar ist, wird teurer. Und wenn sich das Fahrzeug in dem Raum, in dem es sich befindet, nicht gut einsetzen lässt, verliert es an Attraktivität. Das Auto ist nicht mehr das Prestigeobjekt. Wir haben direkten Zugriff auf Devices oder Dienste, die unmittelbar zur Verfügung stehen. Mit dem Auto funktioniert das nicht mehr. Der sperrige SUV passt nicht zu den flexiblen Bedürfnissen. Junge Menschen mit befristeten Jobs müssen, wenn sie sich auf ein Auto festlegen, alles dafür tun, um sich diese Infrastruktur überhaupt leisten zu können.

„Man muss nicht mehr wie ein Wandervogel aussehen, um sich auf dem Rad funktional zu kleiden.“
„Man muss nicht mehr wie ein Wandervogel aussehen, um sich auf dem Rad funktional zu kleiden.“ © Prof. Matthias Lossau, Professor am Institut für Transportation Design.

Fehr: Es geht weniger darum, dass das Auto ein Klotz am Bein ist, sondern darum, dass sich die Umstände um das Auto verändern. Man hat andere Lebensansprüche und veränderte Lebensläufe, man studiert länger, hat später Familie. Das muss man immer mit berücksichtigen, wenn es um die Zahlen geht, dass weniger Autos gekauft werden. Es werden noch Autos gekauft, nur später. Es wird immer noch ein GTI gebaut, denn es gibt dafür nach wie vor eine Zielgruppe.

Was hält Nutzer davon ab, neue Mobilitätsangebote auszuprobieren?

Fehr: Es muss sich gut anfühlen. Gerade bei den neuen Systemen müssen wir den Nutzer abholen, damit er sich sicher und aufgehoben fühlt. Das ist häufig der Losbrechmoment, der die Leute davon abhält. Wenn wir von zukünftiger Mobilität reden, dann reden wir nicht dem Auto, dem Fahrrad oder dem ÖPNV, sondern von der Vernetzung der Systeme. Und ob das dann das private Auto ist oder ein geteiltes Auto ist, wird sich weisen. Es kommt darauf an, wie die Schnittstellen ausgestattet werden. Ist der Wechsel zwischen zwei Systemen problemlos möglich oder gibt es lange Wartezeiten? Das ist die Aufgabe des Designers, die Schnittstellen so zu gestalten, dass sie den Nutzer ansprechen und nicht nach den Wünschen des Anbieters ausgestattet sind. Der Anbieter soll sich allein darum kümmern, dass das Mobilitätssystem funktioniert.

Was passiert mit „alten“ Verkehrsstrukturen?

Lossau: Vergangene Verkehrsstrukturen werden nicht durch neue Technologien planiert. Ich denke da an die High Line in New York. Das ist eine ausgelaufene S-Bahn-Strecke, die von Architekten und Designern bepflanzt wurde, was eine unheimliche Lebensqualität nach sich zieht und Geschäftsmodelle anzieht. Dieses Entweder-oder ist nicht die Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Wir müssen fragen, was sich uns bietet. Es gab lange nur Auto oder Zug, gut oder böse. Diese Debatte um ideologische Grabenkämpfe hat uns lange von guten Lösungen abgehalten. Der Wille der Menschen ist wichtig. Leute wie Michael Bloomberg oder den Bürgermeister von London sind prominente Beispiele dafür. Denen nimmt man ab, dass sie nicht nur einmal im Urlaub mit ihren Kindern auf dem Rad sitzen. In Dänemark fahren die Menschen nicht nur Fahrrad bei schönem Wetter. Regen hält die Dänen nicht vom Fahrradfahren ab.

Woran legt das denn?

Fehr: Das ist eine Kopfsache. In Dänemark hat das Fahrradfahren eine ganz andere Tradition als in Deutschland. In den 70er Jahren haben die Dänen ihr System auf lebensfreundliche Städte umgestellt. Die Infrastruktur wird dort anders gepflegt. Es gibt dort Kategorien, welche Wege im Winter als Erstes gepflegt und geräumt werden und Radwege haben Priorität. Der Schnee wird nicht von der Straße auf den Radweg geschaufelt, wie es hier oft passiert. Das Rad ist dort prioritäres Verkehrsmittel.

Welche Rolle spielt die Gestaltung der Verkehrsmittel und der dazugehörigen Kleidung?

Lossau: Es gibt inzwischen zahlreiche Start-ups, die sich mit der gestalterischen Seite beschäftigen. Man muss nicht mehr wie ein Wandervogel aussehen, um sich auf dem Rad funktional zu kleiden. Heute gibt es modern geschnittene Kleidung, die auch zum urbanen Umfeld passen.

Car-Sharing boomt, doch was können Anbieter in Deutschland verbessern, damit noch mehr Nutzer angesprochen werden?

Lossau: Wer ernsthaft darüber nachdenkt, wird zu dem Ergebnis kommen, dass Car-Sharing mehr Vorteile bietet. Das war wie früher die Auseinandersetzung zwischen Macintosh und PC. Im Ergebnis hatte der Nutzer Dateien, die nicht kompatibel waren. War das gut? Heute ist das keine Frage mehr: Mit Word auf dem Mac kann ich das Dokument auf dem PC öffnen und habe keine Hieroglyphen. Und ich finde, so muss es auch sein. Viele Fahrzeughersteller betreiben das noch auf eine Art und Weise und wundern sich, dass das System noch defizitär ist. Wir brauchen ein einheitliches System, das man von Flensburg bis München nutzen kann, wenn man ein Auto braucht. Die Fahrzeuge, die dort angeboten werden, sind klassische Fahrzeuge, das Interieur ist zum Teil gar nicht dafür geeignet. Die Hersteller und Betreiber müssen einen Mordsaufwand betreiben, um ihr Image zu pflegen. Die Fahrzeuge werden nach jeder Benutzung komplett gewaschen, damit sie nie dreckig aussehen und von innen gereinigt, damit sich keiner vor irgendwelchen Ablagerungen ekelt. Wie wäre es denn mal, ein geeignetes Design für Car-Sharing-Mobile zu entwickeln, mit einem ökonomisch und ökologisch vertretbaren Aufwand. Wir brauchen einen niederschwelligen Zugang und geeignete Fahrzeuge und Innenräume. Dann würden viel mehr Leute Car-Sharing nutzen.

Fehr: Leider gibt es in Deutschland nicht ein System für das Car-Sharing, das ist in der Schweiz anders. Sondern in jeder Stadt gibt es ein stadtspezifisches System. In der Schweiz gibt es ein einziges System. Man hat eine Karte, ein Abrechnungsmodell.

Wäre ein solches System in Deutschland von den Strukturen her machbar?

Fehr: Die Frage ist wieder anbieterorientiert, ich würde sie gern umdrehen: Wünscht sich das Deutschland? Wenn der Deutsche sagt, dass er so ein System möchte, dann sollen sich die Anbieter doch bitte danach richten. Dann haben sie nämlich auf einen Schlag 40 Millionen potenzielle Kunden.

Halten wir fest: Die Baustellen sind noch groß – genau wie das Potenzial.

ZAHLEN RUND UMS AUTO

Rund 30 Prozent des innerstädtischen Autoverkehrs ist „Park-Such-Verkehr“.

35 Stunden verbringen Deutsche jedes Jahr im Stau.

In Stuttgart mussten sie 2013 mit 60 Stunden sogar fast doppelt so lange stehen.

Europaweit befindet sich Deutschland damit auf dem dritten Platz hinter Belgien und den Niederlanden, wo Fahrer im Durchschnitt 58 Stunden bzw. 45 Stunden im Jahr verschwendet haben.