Graz. Die Puppe im Cockpit genießt einen Vertrauensvorschuss, den Computertechnik noch nicht ersetzen kann.

Mit Wucht knallt das Auto gegen die Wand. Glas splittert, Metall knirscht, und aus dem Lenkrad schießt der Airbag. Doch hinterm Steuer verletzt sich kein Mensch, denn dort sitzt mit jetzt verrenkten Gliedern ein Dummy. Trotz des technischen Fortschritts und der Möglichkeiten der Computersimulation werden die Versuchspuppen noch über Jahre unersetzbar bleiben.

„Dummys sind Vielgelenkkörper, deren Verhalten mathematisch nicht hundertprozentig vorhergesagt werden kann.“
Carsten Reinkmeyer, Leiter Sicherheitsforschung im Allianz-Zentrum für Technik, zur Notwendigkeit von Dummys

Die Puppen haben eine Art Wirbelsäule und Becken aus Stahl, ebenso stählerne Knochen und darüber ein Kunststoff-Schaumgemisch, das den restlichen Körper simuliert. Dazu messen Sensoren physikalische Belastungen – Kräfte, Biegemomente, Beschleunigungen. So werden Rückschlüsse gezogen, welche Folgen simulierte Unfälle im realen Straßenverkehr hätten.

Die Puppen werden für alle Arten von Crashtests verwendet: von sogenannten Schlittenversuchen zur Erprobung von Rückhaltesystemen bis zu kompletten Fahrversuchen in einem präparierten Auto. „Für alle Versuche, bei denen es um die Beurteilung der Insassensicherheit geht, werden Dummys eingesetzt“, sagt Hermann Steffan vom Vehicle Safety Institut der Technischen Universität Graz.

Dass reale Puppen im Computerzeitalter ihren Job nicht verlieren, liegt am extrem großem Rechenaufwand, den die Simulation von Unfällen erfordert. „Die Zusammenhänge, wie sich ein Fahrzeug und seine einzelnen Komponenten im Crashfall verhalten, sind ausgesprochen komplex“, sagt Wolfgang Sigloch von der Dekra.

Durch die Bewegungsmöglichkeiten des Halses und die Deformierbarkeit der Brust sind die Messpuppen ideal für realitätsnahe Versuche unter Aufprallbedingungen und derzeit nicht zu ersetzen. „Dummys sind Vielgelenkkörper, deren Verhalten mathematisch nicht hundertprozentig vorhergesagt werden kann. Daher müssen zur Überprüfung der mathematischen Modelle immer noch echte Versuche mit Dummys gefahren werden“, sagt Carsten Reinkmeyer, Leiter Fahrzeugtechnik und Sicherheitsforschung im Allianz-Zentrum für Technik.

Die Testkörper müssen dabei einen breiten Spagat hinbekommen. „Die beiden wichtigsten Eigenschaften für Crashtest-Dummys sind, dass sie einerseits sehr robust, andererseits sehr sensibel sein müssen“, sagt Wolfgang Sigloch. Sie müssten die starken Belastungen im Crashtest aushalten und dürften dabei nicht kaputt gehen. Gleichzeitig müssten sie zuverlässige Daten liefern. Eventuell beschädigte Teile werden ersetzt. Nur wenn sich die Prüfnormen ändern, wird der Dummy in den Ruhestand geschickt.

Doch Dummy ist nicht gleich Dummy. Für Anprallarten wie Frontcrash, Seitencrash und Heckcrash gibt es spezielle Puppen. Das gebräuchlichsten Modell „Hybrid III“ wird weltweit bei Frontalcrash-Versuchen, von nordamerikanischen Zulassungstests bis zum europäischen Programm Euroncap und der Unfallforschung der Versicherer (UDV) eingesetzt.

Der Grund, warum noch etliche Puppen in den Versuchsanlagen gegen die Barrieren knallen, ist laut Experte Hermann Steffan von der TU Graz auch gesetzlich gewollt: Deutsche und internationale Behörden akzeptierten für die Typenzulassung von Fahrzeugen, in Deutschland die Allgemeine Bauartgenehmigung (ABG), einen Nachweis über die Sicherheit nur durch reale Tests. Die Angst vor Manipulationen beim Simulieren am Computer sei zu groß.dpa