Braunschweig. Uneinsichtige Raser oder fehlerhafte Technik? An den Blitzern und den Tempolimit-Schilderbrücken auf der A 2 in unserer Region scheiden sich die Geister.

Die festen Blitzanlagen auf der Autobahn 2 in unserer Region sind ein Ärgernis, seit es sie gibt, also seit Dezember 2011. Den Landkreisen Helmstedt und Peine wurde vorgeworfen, dass sie mit den Blitzern den großen Reibach machen wollen, um die eigenen Kassen aufzufüllen.

Dem machte Niedersachsens Verkehrsminister Jörg Bode (FDP) einen Strich durch die Rechnung. Er ließ in Abständen von 500 Metern und 100 Metern vor den Radaranlagen Schilder aufstellen, die Verkehrsteilnehmer warnen. So werden weniger Fahrer geblitzt als erwartet.

Der Landkreis Peine zum Beispiel hat im ersten Halbjahr diesen Jahres mit den Blitzern knapp 450.000 Euro eingenommen. Davon müssen noch die Verwaltungskosten gedeckt werden. Die Kreise rechneten aber mit Millionen-Einnahmen. Eine Goldgrube wie Deutschlands wohl berühmteste Radaranlage bei Bielefeld – ebenfalls auf der A 2 – sind die Blitzer bei Helmstedt und Peine bei weitem nicht.

Der lange schwelende und nun offen zutage tretende Streit, ob die Blitzer in Verbindung mit den Verkehrsbeeinflussungsanlagen technisch überhaupt voll funktionsfähig sind, tut nun sein Übriges. Wir dokumentieren Ansichten zum Thema: von Autofahrern und ihren Anwälten, den Herstellern der Technik, von Polizisten, Verkehrsexperten, den Landkreisen als Betreibern und einem Amtsrichter.

Das sagen Autofahrer und deren Rechtsanwälte:

Dr. Thomas Neu aus Didderse im Kreis Gifhorn ist Naturwissenschaftler und von Berufs wegen der Technik gegenüber aufgeschlossen. Neu sagt aber: „Auch Messgeräte können falsche Dinge anzeigen.“ Er spielt damit auf die seiner Meinung nach fehlerhaften Blitzanlagen an. Seiner Meinung nach ist davon auszugehen, dass es im Zusammenspiel der Verkehrsbeeinflussungsanlagen und der Blitzer zu falschen Signalbewegungen kommt, weshalb die Blitzer scharfgeschaltet sind, obwohl sie es gar nicht sein sollten.

Dieter Simon ist Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Helmstedt. Die Blitzer bescheren ihm derzeit einige Aufträge. Er vertritt zehn Mandanten, die gegen die Bußgeldbescheide des Landkreises Helmstedt in Berufung gegangen sind. Die Mandanten kommen aus der ganzen Republik. Die meisten von ihnen beklagen wie Thomas Neu, dass die Blitzer ausgelöst haben, obwohl die Beeinflussungsanlagen kein Tempolimit angezeigt hätten. Simon bringt eine weitere Variante ins Spiel: „Ich hatte auch einen Mandanten, der Stein und Bein darauf schwört, dass die Verkehrsbeeinflussungsanlage Tempo 100 angezeigt hat. Er hat sich dran gehalten und hatte später dennoch einen Bußgeldbescheid in der Post, der besagte, dass lediglich Tempo 60 erlaubt war.“

Arnim Plett ist ebenfalls Fachanwalt für Verkehrsrecht. Der Peiner vertritt vier Mandanten, zwei klagen gegen Bußbescheide aus Helmstedt, zwei gegen Bescheide aus Peine. Plett: „In einem der Fälle saß die Ehefrau daneben, die bezeugt, dass die Verkehrsbeeinflussungsanlage nichts angezeigt hat.“ Die beiden Mandanten Pletts, die bei Essehof geblitzt wurden, erfasste die Radarfalle innerhalb von zwei Minuten unabhängig voneinander. Plett: „Dass beide hier kurz nacheinander durchgefahren sind und sagen, dass die Verkehrsbeeinflussungsanlage nichts angezeigt hat, zeigt doch, dass hier ein Fehler vorliegen muss.“

Das sagen die Verkehrsexperten:

Für Birgit Blaich-Niehaus vom ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt kommen die Probleme mit den Blitzern und den Schilderbrücken nicht überraschend. „Es gibt vier Generationen von Anlagen, die auf der A 2 eingesetzt werden. Alle haben unterschiedliche Schaltungen.

Die Expertin empfiehlt den betreibenden Landkreisen, die Anlagen schnell zu überprüfen. „Wenn sich Leute so massiv beschweren, muss da etwas dran sein.“

Vor zwei Wochen erst hat das Landesamt für Straßenbau und Verkehr Niedersachsen bei der TU Braunschweig ein Gutachten in Auftrag gegeben. Geprüft werden soll, wie die A-2-Blitzer in unserer Region Verkehrsablauf und Verkehrssicherheit beeinflussen. Dabei wird es auch darum gehen, ob sie fehlerfrei arbeiten. Rasche Aufklärung wird es aber nicht geben. Das Gutachten wird voraussichtlich erst in zwei Jahren vorliegen. Ein TU-Mitarbeiter, der mit dem Gutachten befasst ist, will namentlich nicht genannt werden. Der Ingenieur will vorab nur soviel sagen: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Hersteller, die Landkreise und die Verkehrsmanagementzentrale hier fehlerhaft gearbeitet haben. Komplett ausschließen kann ich es aber nicht.“

Das sagt die Polizei:

Obwohl die Autobahnpolizei Braunschweig mehrmals täglich mit den Beschwerden konfrontiert wird, hält sich Wolfgang Klages, Sprecher der Polizeiinspektion Braunschweig, bedeckt. „Uns ist sehr wohl bekannt, dass es Probleme mit den Blitzanlagen gibt. Wir als Polizei halten uns da aber heraus. Wir haben nichts mit der Technik, nichts mit der Auswertung und auch nichts mit der Sanktionierung der Autofahrer zu tun.“ Klages erweckt den Eindruck, dass er froh ist, unbeteiligt zu sein: „Die Blitzer sind ein Politikum.“

Das sagen Hersteller und Prüfer:

Der Jenoptik-Konzern hat die Blitzer hergestellt. Carsten Hannawald ist der stellvertretende Leiter Vertrieb beim Konzern. Er hält einen technischen Fehler für ausgeschlossen. „Die Anlagen sind eichtechnisch abgeschlossen und versiegelt. Selbst wenn wir eine Festplatte austauschen, muss ein Eichbeamter dabei sein.“ Das System sei hochentwickelt, die Stellzustände der Verkehrsbeeinflussungsanlage werden mehrmals pro Sekunde per Signal an die Blitzer übermittelt. Ganz ausschließen will und kann aber auch Hannawald einen technischen Fehler nicht: „Wenn es einen Fehler gibt, kann der nur bei der Verkehrsbeeinflussungsanlage liegen. Eine Prüfung wäre Aufgabe des Betreibers, also der Landkreise.“

Hartmut Prüß ist Betriebskoordinator der Verkehrsmanagementzentrale. Von Hannover aus regeln er und seine Mitarbeiter die Schilderbrücken auf der A 2, die mit den Blitzern verbunden sind. „Mit den Blitzern haben wir gar nichts zu tun. Die Landkreise haben die Radaranlagen angeschafft und betreiben sie. Ich hätte Fehler im Zusammenspiel mit unseren Verkehrsbeeinflussungsanlagen nicht für möglich gehalten, aber wenn die Beschwerden so massiv aufkommen, muss man das ernst nehmen.“

Dr. Frank Märtens leitet bei der PTB in Braunschweig die Gruppe Geschwindigkeitsmessgeräte. Es war seine Gruppe, welche die Blitzer des Jenoptik-Konzerns überprüft und abgenommen hat – zwar nicht die Blitzer, die auf der A 2 bei Peine und Helmstedt stehen, aber Modelle der Serie. „An die Messtechnik herrschen extrem hohe Anforderungen“, sagt Märtens. Er und seine Mitarbeiter haben die Blitzer mit aufwendigen Versuchen auf der Straße getestet. Sie haben Tausende von Fahrzeugen vorbeirauschen lassen und auch das Zusammenspiel Blitzer/Verkehrsbeeinflussungsanlagen getestet. Auch er sagt: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich hier Fehler eingeschlichen haben.“ Märtens sagt aber auch: „Ich nehme die Beschwerden der Autofahrer ernst.“

Das sagt der Amtsrichter:

Jürgen Rother ist Richter am Amtsgericht Helmstedt. Er schätzt, dass etwa fünf Prozent der Fahrer, denen der Landkreis Helmstedt einen Bußgeldbescheid schickt, Einspruch einlegen. „Ähnlich viele legen Einspruch bei Blechbeschilderung ein.“ Er wertet dies als Indiz, dass die Ursache bei den Fahrern und nicht bei der Technik zu suchen ist. Rother soll in einem Verfahren gesagt haben „Ich glaube der Technik mehr als Ihnen“, bestreitet dies aber.

Womöglich hegt aber auch der Amtsrichter allmählich Zweifel an der Technik. Jedenfalls hat er bereits mehrere Sachverständige beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. „Einige Ergebnisse liegen schon vor. Bisher gab es aber keine Beanstandungen an der Technik“, sagt Rother.

Das sagen die Landkreise:

Die Landkreise Helmstedt und Peine weisen darauf hin, dass die Blitzer monatlich von Jenoptik gewartet werden. Bei der Anschaffung haben die Kreise gleich einen Service-Auftrag mit abgeschlossen. Beide Landkreise betonen, dass dann, wenn die Beeinflussungsanlage ausgeschaltet ist und die Blitzer dennoch auslösen, nur LKW und Busse geblitzt würden. Für diese gilt generell ein Tempolimit von 80 oder 100 Stundenkilometern. Die Autofahrer beteuern aber, dass neben ihnen kein LKW oder Bus gefahren sei.

Peines Kreissprecher Henrik Kühn: „Es gibt keine Beschwerden, keine Häufung der Einsprüche aus technischen Gründen. Wenn das so sein sollte, überprüfen wir es.“

In Helmstedt erklärt Dezernent Wolfgang Herzog, dass die Anlage bei Essehof im ersten Halbjahr rund 130.000 Mal geblitzt habe. Davon wurden 20 Prozent der Verstöße mit Bußgeld- und Verwarngeldbescheiden geahndet. Herzog zieht diese Zahlen heran, um die Blitzer zu verteidigen: „Sie zeigen, welches Gefährdungspotenzial auf der A 2 liegt. Wenn der Landkreis Helmstedt schwere Unfälle mit Todesfolge und hohen Sachschäden vermeiden hilft, ist die Radarüberwachung allemal gerechtfertigt.“

Im Hinblick auf die Autofahrer, die Einspruch einlegen, zeigt sich Herzog nicht diskussionsbereit. Er nennt die Äußerungen der Beschwerdeführer „spontan“ und „emotional“. Sie, ihre Anwälte und den ADAC bezeichnet er als „Lobbygruppe“.