Manche Bilder von Monet oder Picasso erzielen irre Preise. Aber 30 Millionen Dollar für ein Auto? Bisher undenkbar. Jetzt bezahlt. Für einen Bugatti Atlantic.

Er ist so selten wie ein weißer Elefant und genau wie dieser ein königliches Symbol von einst. Vom Bugatti Atlantic wurden nur vier Exemplare gebaut. Zwei existieren noch im Originalzustand. Einen besitzt der Modemacher Ralph Lauren (Fahrgestellnummer 57 591). Der andere wechselte vor kurzem für 30 Millionen Dollar den Eigentümer. Darüber berichtete sogar das "Wallstreet Journal".

Die Erben des Mediziners Dr. Peter Williamson – bis zu seinem Krebstod 2008 ein exzessiver Bugattisammler – verkauften diese Rarität (Nr. 57 374) an den Kalifornier Peter Mullin. Und der ist nicht weniger autoverrückt. Gerade hat er sich in Kalifornien ein eigenes Museum für seine 150 rollenden Antiquitäten bauen lassen.

Das 30-Millionen-Dollar-Stück hatte Williamson, der in Lyme/New Hamphshire lebte, 1971 für 59 000 Dollar in Beverly Hills erworben. Es handelte sich dabei um den allerersten Bugatti Atlantic, der 1936 an den Bankier Victor Rothschild ausgeliefert worden war.

Doch nun tauchte vor wenigen Monaten – die Nummer 3 dieser Spezies verschwand in den Wirren des Krieges – der vierte Bugatti Atlantic beim Concours d‘Elegance in Pebble Beach auf. Der bisher Verschollene, perlgrau und makellos, trägt die Chassisnummer 57 473. Doch darf er überhaupt als ein Original gelten?

Dieser vierte Atlantic wurde 1937 für Jacques Holzschuck aus Paris gebaut. Der verkaufte den Wagen an René Chatard, der 1955 mit seiner Freundin Janine Vacheron beim Zusammenstoß mit einem Zug auf einem unbeschrankten Bahnübergang ums Leben kam. Die französische Eisenbahngesellschaft hielt die Trümmer lange unter Verschluss.

Dann erwarb der Sammler André Berson das Wrack – die korrekte Chassisnummer inklusive – und ließ es mit 80 Prozent Neuteilen wieder aufbauen. In Pebble Beach erlebte dieser schatten-graue Bugatti nun seine Renaissance und war ständig umlagert. Und schon streiten die Experten: "Nur" ein Nachbau oder nicht? Ein Anlass, die Atlantic-Historie mal ein wenig zu erhellen.

Der ganz große Wurf Bugattis war zwar der Typ 35, der zwischen 1925 und 1934 über 2000 Rennsiege herausfuhr. Doch schon Anfang der 1930er-Jahre ging es mit der Firma nicht nur sportlich, sondern vor allem wirtschaftlich steil bergab. Der "Patron" Ettore Bugatti zog sich auf sein Schloss Ermenonville bei Paris zurück und überließ seinem kongenialen Sohn Jean die Führung des Molsheimer Unternehmens.

Jean Bugatti hatte – zunächst ohne Wissen seines Vaters – ein sensationelles Modell entwickelt: Den Typ 57, der 1933 beim Pariser Salon debütierte. Ettore sprach ärgerlich von "einem Buick made in Molsheim". Doch in Wahrheit schuf dieser 57er die Basis dafür, dass die Firma Bugatti überhaupt überleben konnte.

709 Exemplare des Typs 57 mit 3,3-Liter-Achtzylindermotoren verließen Molsheim, davon gehörten 43 zur besonders begehrten Modellreihe 57 S und SC (mit Kompressor).

Eigentlich hatte Jean Bugatti den Typ 57 nicht nur als Serienauto für betuchte Kunden gedacht, sondern vor allem auch als Rennsport-Variante. Heute würde man sagen: Ein "ultimativer GT" sollte es sein.

Deshalb ließ er den 57er auch mit einer Stromlinienkarosserie versehen und nannte diese spezielle Version Aero (oder auch Aerolithe). Später wurde der Name in Atlantic umgewandelt. Das sollte die Erinnerung an den von Jean Bugatti verehrten Flieger Jean Mermoz wach halten, der 1936 bei einer Südatlantik-Überquerung spurlos verschwunden war.

Die normalen 57er gab es als Galibier (viertürige Limousine), Stelvio (Cabrio), Ventoux (Zweitürer) und Atalante (Coupé). Doch die berühmteste Variante blieb der Atlantic, obwohl das über 200 km/h schnelle Gerät nie Rennen fuhr.

Sein Styling ist atemberaubend. Noch heute. Die Räder sind von der Karosserie abgesetzt und durch wuchtige Kotflügel betont. Die Motorhaube streckt sich extrem lang, das Heck ist gerundet und mündet in ein Oval. Herausragendes Design-Merkmal aber ist der klar akzentuierte Kamm, der senkrecht stehend von der Windschutzscheibe bis zur hinteren Stoßstange läuft. Es ist die genietete Naht der beiden aneinander gehefteten Aluminium-Karosseriehälften. Eigentlich nur ein Produktionszwang!

Dennoch kein Zweifel: Der Bugatti Atlantic ist der eigenwilligste, aufregendste Klassiker auf Rädern. Nun auch noch der teuerste dazu.