Motorsport

Zum 10. Mal gewann Audi die berühmten 24 Stunden. Ein Blick in die Rennszene.

Martin Winterkorn zieht das Jackett aus, schnallt sich an. Es ist 15.40 Uhr. Flugzeit nach Braunschweig 75 Minuten, heißt es. Die Stewardess reicht zwei Gläser Champagner. Wir stoßen an: Auf den Audi-Sieg. Der achtsitzige VW-Jet zieht eine Steilkurve. Unter uns die Piste von Le Mans, das Verkehrsgewühl der 250 000 heimwärts strömenden Zuschauer.

Nun strahlt der VW-Konzernchef. Aller Stress ist weg. Noch drei Stunden zuvor schien alle Gelassenheit, die diesen Mann sonst ziert, verflogen. Der 64-Jährige wirkte nervös, ungehalten. Zwei der drei Audi-Werkswagen hatten sich jeweils mit wahren "Horror-Crashs" aus dem Renngeschehen verabschiedet. Ein Wunder, dass es keine Toten gab.

"Fahren wie in der Formel 1"

"Die fahren wie in der Formel 1. Auf der letzten Rille," krittelte Winterkorn. "Es darf nicht passieren, dass die Kerle bei Überrundungen derart hohe Risiken eingehen."

Das taten sie aber doch. Und dieser Einsatz schien auch nötig; denn sonst hätte der letzte der drei Audi-TDI-Werkswagen dies 79. 24-Stunden-Rennen von Le Mans keinesfalls gewinnen können.

Der Grund: Den Ingolstädter Silberpfeilen – 2006 hatte übrigens erstmals ein Diesel-Audi hier gesiegt – klebte eine Meute höchst potenter Peugeot-Werkswagen am Heck. Ein so ausgeglichenes Leistungsniveau gab es in Le Mans noch nie; den Trainingsschnellsten trennten vom Sechsten nur Zehntelsekunden!

So tobte 2011 hier nicht nur eine High-Tech-Schlacht, sondern erstmals musste dieser Langstrecken-Klassiker wie ein Formel 1-Rennen gefahren werden. Das heißt: Vollgas über die gesamten 24 Stunden. Auch das hat es noch nie gegeben. Klar, dass die Risiken und fahrerischen Anforderungen enorm wuchsen.

Schließlich war die nervenaufreibende Zeit für Winterkorn zu Ende. Audis 550 PS starke Karbon-Flunder kreuzte siegreich die Ziellinie. "Wiko" – wie ihn sein Umfeld nennt – gratulierte mit Tränen in den Augen der Boxencrew, klopfte Schultern, umarmte Audi-Chef Stadler und stürmte zum kleinen Airport, der direkt hinter den Tribünen liegt. Dort wartete die VW-Werks-Düse mit surrenden Triebwerken.

Unser Gespräch während dieses 75-Minuten-Flugs begann zwar mit Fußball ("Wie finden Sie denn das? Eintracht spielt im Pokal gegen Bayern München"), aber dann wurde es auto-technisch. Winterkorn griff zu Papier, zum Montblanc-Kuli und notierte. Eine wunderbare Eigenart! Sie hilft Journalisten, Fehler zu vermeiden, weil die Fakten sauber lesbar vorliegen! Aus "Chef-Hand"! Es ging um Elektroantrieb, um den neuen Porsche 911 ("tolles Auto") und um Markt-Chancen ("Absatzsorgen habe ich nicht. Die Mobilität wird weiter wachsen. Vor allem in China"). Doch heute zählte nur das Ereignis des Tages: Le Mans.

Piëch und "Wiko" griffen ein

Immerhin investiert Audi 100 Millionen Euro in diese Serie der Renn-Prototypen und demonstriert damit weltweit "Vorsprung durch Technik". Doch dies Motto schien 2011 in Gefahr. Winterkorn: "Peugeot war 2010 vier Sekunden schneller als wir. Pro Runde! Nur durch Zufall konnten wir gewinnen."

Deshalb wurde Le Mans zur Chefsache. "Ferdinand Piëch und ich sind deshalb fünf Mal in Ingolstadt gewesen. Stellen Sie sich das vor: Aufsichtsrat und Vorstand – eigentlich ja gar nicht unsere Aufgabe! Wir haben uns in die Details gehängt, mitgewirkt, weil wir beide – Piëch und ich – eins wollten: Den Sieg in Le Mans. Es ist nun mal das härteste Langstreckenrennen der Welt."

Ein völlig neues Auto entstand. Im Gegensatz zum früheren Spyder ein Coupé. Mit Top-Aerodynamik, Ultra-Leichtbau (900 kg), LED-Licht, V6-TDI statt V10-TDI – also ein "Downsizing" und trotzdem mehr Leistung! Der VW-Chef bringt es auf den Punkt: "Le Mans erlaubt uns unter Extrem-Bedingungen Technologien für die Serie zu erproben."

Landung in Waggum. Winterkorn ist in Eile. Wie viel arbeitet er pro Woche? 70 Stunden? Der VW-Chef nachdenklich: "Eher mehr."