Osterode. In Lerbach bei Osterode am Harz entsteht beinahe unbemerkt ein außergewöhnliches Kunstwerk. Im Interview verrät die Künstlerin, was sie antreibt.

  • Kerstin Schulz ist bildende Künstlerin und hat schon an vielen Orten in Deutschland und Europa künstlerische Projekte umgesetzt.
  • Seit einiger Zeit ist sie nun zugange bei Osterode - mitten im Harz. In Lerbach gestaltet sie ein historisches Haus in ein begehbares Kunstwerk um.
  • Im Zentrum ihrer Installationen steht der Gedanke der „Schwarmkunst“. Was es damit auf sich hat, verrät sie im Interview mit dem Harz Kurier.

Kerstin Schulz ist bildende Künstlerin und arbeitet aktuell an ihrem neusten Werk in Lerbach bei Osterode am Harz: dem sogenannten Bleistifthaus. Im Gespräch mit dem Harz Kurier erklärt die aus Gehrden stammende Künstlerin die genauen Pläne in Lerbach und was es damit auf sich hat.

Frau Schulz, was muss man über Sie wissen?

Mein Name ist Kerstin Schulz, und ich wohne in Gehrden bei Hannover. In Hildesheim, Hannover, Manchester und Hamburg habe ich studiert. Zuerst Grafikdesign, dann Bildende Kunst, beides mit Diplom. Darüber hinaus bin ich Meisterschülerin bei Verena Vernunft. Meinem Mann gehört das Haus in Lerbach, welches wir gerade für unsere Zwecke umbauen. Es soll für uns als zukünftiger Veranstaltungsort dienen.

Was planen Sie konkret in Lerbach? Sie sprechen jaentweder von „PENvolution“, „PENvolution/Bleistifthaus“ oder „PENvolution Realität +“. Ist damit stets dasselbe Projekt gemeint? Und wie ist der Stand der Sanierungsarbeiten?

Generell ja. „PENvolution/Bleistifthaus“ – das ist im Groben die Sanierung und das Zurechtmachen des Hauses, sodass wir da Schwarmkunst und eine Schlafinstallation umsetzen können. „PENvolution Realität +“ ist die digitale Variante, wo man dann Workshops mit verschiedenen Realitäten realisiert. „PENvolution Realität +“ umfasst somit eine künstlerische Erweiterung in die digitale Welt, um eine visuelle Verflechtung beider Welten, der analogen und digitalen, zu erreichen.

Wir planen in Lerbach zudem ein Bleistifthaus aufzubauen. Ein bestehendes Bleistiftzimmer – gebaut aus 500.000 Bleistiften – gibt es schon. Bislang ist es auseinandergebaut und für Besucher gedacht, die ein virtuelles und reales Übernachtungserlebnis zum Thema „Kommunikation im Wandel der Zeit“, erfahren möchten, Stichwort „Erlebnisschlaf“. Nach Fertigstellung ist das Ziel, eine Plattform für Kreative und Kunstinteressierte in Lerbach zu schaffen und nebenbei innovative Techniken niedrigschwellig zu vermitteln. Darüber hinaus soll eine Werkstatt und Lager für Schwarmkunstprojekte zur Verfügung stehen. Der Stand der Sanierungsarbeiten sieht so aus: Die ersten Räume für das Fab-Lab (Fabrikationslabor) und die Werkstätten sind fertig. Ein Fab-Lab dient dazu, Sachen auszuprobieren.

Mit dem Segen des Denkmalschutzes sind zahlreiche Bleistifte in die Fassade eingearbeitet.
Mit dem Segen des Denkmalschutzes sind zahlreiche Bleistifte in die Fassade eingearbeitet. © FMN | Ralf Gießler

Sie sagen, dass Ihr Projekt „PENvolution“ nach den Auswirkungen der digitalen Revolution fragt, also die Frage stellt: Wie weit kann die Verlagerung des Lebens in virtuelle Welten noch gehen? Wie empfinden Sie selbst die Auswirkungen der digitalen Revolution, in der wir uns gerade befinden?

Das ist natürlich eine unglaublich komplexe Frage. Ich reduziere das auf meinen Berufsstand, die bildenden Künste. Die digitale Revolution, alles, was neu ist, verunsichert einen erstmal. Aber nach meiner Meinung ergeben sich dort auch immer Chancen. Zum Beispiel die Jugend, die sehr im Gaming-Bereich unterwegs ist, hat ein fantastisches dreidimensionales Vorstellungsvermögen mit Bewegung. Also wenn ich das in meiner Generation anschaue, ist es dort fast gar nicht vorhanden. Der Tastsinn und so weiter geht mehr verloren. Es kann sein, dass sich bildende Künstler total verändern müssen, um sich mit den neuen Wirklichkeiten auseinander zu setzen.

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Und dementsprechend haben wir ja das Projekt mit der „Realität +“ in die Welt gesetzt. Wie verändert sich die Wahrnehmung, was ist real und was nicht, wo verschwimmen gar die Übergänge? Es ergeben sich somit auch neue Chancen. Die Möglichkeiten sind erstaunlich neu, wo man als bildender Künstler viel forschen kann. Nach meiner Erfahrung sind fortschrittliche Entwicklungen nicht aufzuhalten. Alles, was praktisch ist, wird sich durchsetzen. Man kann es ängstlich beschauen, aber auch probieren, die Vorteile, die diese Techniken mit sich bringen, herauszuarbeiten. Also ich gehe mit großer Freude und Mut daran, mich immer weiterzubilden.

Auch hier wurden etliche Farbtuben verarbeitet.
Auch hier wurden etliche Farbtuben verarbeitet. © FMN | Ralf Gießler

Sie erwähnen vorgeschaltete Workshops und begleitete Aktionen – was kann da man erwarten?

Schwarmkunst ist prädestiniert, auch Gruppen einzubeziehen, die von Beteiligungsprozessen sonst schwer zu erreichen sind. Es entsteht ein sich ständig wandelndes Kunstwerk mit wechselnder Beteiligung. Keine Teilnahme gleicht einer vorherigen. Die Workshop-Teilnehmer sollen sowohl individuell als auch in Gruppen arbeiten, um verschiedene Perspektiven auf das Thema „Realität +“ zu generieren. Hierbei entstehen dann kleinere Kunstobjekte wie zum Beispiel Bleistift-Skulpturen im realen und ganze VR-Bleistift-Welten im sogenannten „real +“. Von kleinen analogen Würfeln oder Strichmännchen aus Bleistiften bis hin zu größeren Objekten, wie beispielsweise die Eseltreiber-Skulptur aus Osterode oder die erste Volksbank in Lerbach. Im digitalen Raum können Teilnehmer ihrer Fantasie nachgehen. Nach den Workshops sollen die Resultate im Bleistifthaus sowohl real als auch virtuell ausgestellt werden. Das Projekt „PENvolution/Bleistifthaus“ ist zudem langfristig angelegt. Das bedeutet, dass auch nach Projektabschluss weiter gestaltet werden soll, denn das Bleistifthaus wird regelmäßig für die Öffentlichkeit geöffnet sein. Dadurch eröffnen sich immer wieder neue Erlebniswelten, auch bei wiederholten Besuchen – real und real +.

Das Schwarmkunstprojekt „panta rhei: stadt im fluss“ in Hannover 2023.
Das Schwarmkunstprojekt „panta rhei: stadt im fluss“ in Hannover 2023. © FMN | Kerstin Schulz

Was bedeutet Schwarmkunst denn für Sie, wo liegt für Sie der Reiz?

Die Schwarmkreativität in der Gruppe entwickelt den Reiz. Schwarmkunst kann eine anhaltende Wirkung vor allem in veränderten Einstellungen und dem Abbau von Vorurteilen zeigen sowie Impulse für die Öffentlichkeit setzten. „PENvolution“ sucht nicht die Lösung, sondern zeigt uns Wege zur Auseinandersetzung mit dem Thema; und zwar unmittelbar, mit einfachsten Mitteln. „PENvolution“ hat keinen Fokus auf fertige Konzepte oder Vollständigkeit. Bei Schwarmkunst-Aktionen werden ursprünglich passive Betrachter zu aktiven Gestaltern. Trotz der vielleicht für viele Menschen abschreckenden Komplexität eines Themas gelingt durch die künstlerische Umsetzung eine intensive Inklusion; sie ist die Grundlage für einen umfassenden Austausch.

Der Bleistift dient dabei nicht nur als künstlerisches Gestaltungswerkzeug. Er ist auch ein Symbol dafür, dass man mit einfachen, bewährten Mitteln weit kommen kann. Das Projekt „PENvolution/Bleistifthaus“ fragt nach den Auswirkungen der digitalen Revolution, zum Beispiel: Wie weit kann die Verlagerung des Lebens in virtuelle Welten noch gehen? Was bedeutet das für unser Selbstverständnis und unser soziales Miteinander? Wie verändert sich unsere Kommunikation? Wie wichtig bleibt bei aller Digitalisierung die reale, analoge Welt? Alles Fragestellungen, die ich spannend finde. Wir streben auch Kooperationen mit Vereinen und Organisationen an. Wer möchte, kann sich gerne melden.

Die Osteroder
Die Osteroder "Beige Hose" ist hier zu sehen.  © FMN | Ralf Gießler

Immer wieder ist von Begriffen wie „IoT“ oder „virtuellen Werkzeugen“ zu lesen - was versteht man darunter?

„IoT“ ist das „Internet of Things“, also das Internet der Dinge. Ein schönes Beispiel virtueller Werkzeuge in der Kunst ist in einem kleinen Film auf Youtube zu sehen. Dort einfach mal „Live Performance at the Louvre Museum Paris“ in das Suchfeld eingeben. Man kann da einer Künstlerin dabei zusehen, wie sie mit virtuellen Werkzeugen in einem virtuellen Bild malt. Das Bild sieht sie über ihre VR-Brille.

Große Pläne in Lerbach. Kerstin Schulz will im Bleistifthaus auch digitale Kunst ermöglichen.
Große Pläne in Lerbach. Kerstin Schulz will im Bleistifthaus auch digitale Kunst ermöglichen. © FMN | Ralf Gießler

Gab es noch andere Gründe außer dem Haus, warum Sie nach Lerbach gekommen sind?

Ja. Lerbach liegt als zukünftiger Veranstaltungsort schön zentral im Herzen Deutschlands und ist auch mit dem ÖPNV oder per Rad gut zu erreichen. Außerdem gibt es kulturelle und gastronomische Angebote in der Nähe.

Solch ein ehrgeiziges Vorhaben wie „PENvolution“ ist allein nur schwer umsetzbar. Die Idee dazu sowie die künstlerische Leitung obliegt bei der Künstlerin. Zum Team gehören zusätzlich noch der Schwarmkunst e. V. als Projektträger, das Team „atelier-dreieck“ sowie Verantwortliche für Programmierung, Marketing und verschiedene Leitungsaufgaben. Das Projekt wird multimedial auf sozialen Medien begleitet, um eine entsprechende Medienresonanz zu erreichen.

Bildende Künstlerin Kerstin Schulz

Kerstin Schulz aus Hannover ist bildende Künstlerin. Laut Wikipedia arbeitet sie sowohl in klassischen Kunst-Disziplinen wie Zeichnung, Bildobjekte und Skulpturen, als auch in übergreifenden Grenzbereichen, zum Beispiel Installationen und Schwarmkunst.

„atelier-dreieck“: Brauereiweg 25, 30989 Gehrden

Bleistifthaus Lerbach: Friedrich-Ebert-Str.196, 37520 Osterode am Harz/Lerbach

Homepage: www.atelier-dreieck.de und die Webseite der Künstlerin Verena Vernunft: www.verenavernunft.de
Instagram: kerstin_schulz.schwarmkunst

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