Bad Sachsa. Am Internatsgymnasium Pädagogium Bad Sachsa widmet sich ein Seminarfachkursus den Lebenswirklichkeiten im geteilten Deutschland.

Wie hat sich das Leben in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von dem in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) unterschieden? Dem wollen zwölf Schülerinnen und Schüler am Pädagogium Bad Sachsa auf den Grund gehen. Dafür haben sie das Seminarfach „Die deutsche Einheit nach 1989/90 in der Wahrnehmung junger Menschen heute: Zwischen gelebter Wirklichkeit und Konstrukt“ gewählt - ein weites Themenfeld.

Damit die angehenden Abiturienten und Abiturientinnen den für sie passenden Ansatz für ihre Facharbeit finden, haben die Lehrer Victor Woska und Mark Bischoff eine Kickoff-Veranstaltung mit Bildungsreferent Ron Heckler von der Deutschen Gesellschaft zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa, Berlin organisiert. Heckler kam dafür nicht allein ans Pädagogium, sondern brachte zwei Zeitzeugen mit: Detlef Hubert Peuker und Benjamin Golf.

Zeitzeuge Detlef Hubert Peuker zeigt am Pädagogium in Bad Sachsa Fotos von der innerdeutschen Grenze, die er als junger Mann selbst aufgenommen hat. Im Rahmen des Workshops „Geteilte Lebenswirklichkeiten“ sollen Schüler aus dem Seminarfach „Die deutsche Einheit nach 1989/90 in der Wahrnehmung junger Menschen heute: Zwischen gelebter Wirklichkeit und Konstrukt“ am Pädagogium in Bad Sachsa ein Thema für ihre Seminarfacharbeit erarbeiten.
Zeitzeuge Detlef Hubert Peuker zeigt am Pädagogium in Bad Sachsa Fotos von der innerdeutschen Grenze, die er als junger Mann selbst aufgenommen hat. Im Rahmen des Workshops „Geteilte Lebenswirklichkeiten“ sollen Schüler aus dem Seminarfach „Die deutsche Einheit nach 1989/90 in der Wahrnehmung junger Menschen heute: Zwischen gelebter Wirklichkeit und Konstrukt“ am Pädagogium in Bad Sachsa ein Thema für ihre Seminarfacharbeit erarbeiten. © FMN | Katharina Franz

Schüler zeigt Interesse an der Musikszene in der DDR

Peuker flüchtete 1969 als 16-Jähriger aus der DDR, Golf ließ sich 1989 ausbürgern. Erwartungsgemäß interessierten sich die Schülerinnen und Schüler vornehmlich dafür, wie die beiden den Osten hinter sich gelassen hatten. Es gab aber auch Fragen zum Leben davor. Clemens Schirmer beispielsweise hat schon eine Idee, in welchem Bereich der Fokus seiner Seminarfacharbeit liegen soll. Der 17-Jährige möchte seine Interessen für Geschichte und Musik miteinander verbinden. Darum fragt er gezielt danach, welche Bands in der DDR populär waren, wie und wo junge Menschen Musik gehört haben.

Und Schirmer erhält Antworten. Golf berichtet, dass die Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiet der Musik (AWA) bei Musikveranstaltungen nur 40 Prozent westliche Musik zuließ - und wie sie der deutschen Musikszene damit eigentlich einen Gefallen tat: „Die Musiker durften nicht einfach nachspielen. Sie mussten Musik mit eigenen deutschen Texten machen. Da ist viel Tolles entstanden, wunderschöne lyrische Texte.“ Er gibt Karat, City und die Klaus Renft Combo als Beispiele für populäre DDR-Bands. Und er nennt die Leipziger Beatkrawalle als Stichwort dafür, wie das Regime versuchte, die künstlerische Freiheit zu unterdrücken.

Ein Zeitzeuge erzählt unter dem Pseudonym Benjamin Golf von Friedensbewegungen in der DDR und seiner Ausbürgerung.
Ein Zeitzeuge erzählt unter dem Pseudonym Benjamin Golf von Friedensbewegungen in der DDR und seiner Ausbürgerung. © FMN | Katharina Franz

Umgang und Wert von Zeitzeugeninterviews

Für Peuker war der Umgang mit Musik einer von vielen Gründen, weshalb er sich in der DDR unterdrückt fühlte. „Wir waren gerne mit unseren Kofferradios draußen unterwegs und drehten die Musik so laut auf, dass die Leute sich nach uns umdrehten. Wir wollten um jeden Preis auffallen: mit unserer Kleidung und der Frisur.“ Wenn die Polizei Jugendliche beim Herumlungern mit Kofferradios erwischte, habe sie die Heranwachsenden auch schonmal eingesammelt und bis abends eingesperrt, erinnert er sich.

Zeitzeugeninterviews und -berichte sollen den Schülerinnen und Schülern als Informations- und Inspirationsquelle für ihre Seminarfacharbeiten dienen. Sie sollen sich aber auch kritisch mit dem auseinandersetzen, was Zeitzeugen erzählen. Uwe Oberdiek vom Grenzlandmuseum Bad Sachsa ermahnt: „Aussagen von Zeitzeugen sollten verifizierbar sein.“

Uwe Oberdiek vom Grenzlandmuseum Bad Sachsa, Mark Bischoff, stellvertretender Schulleiter am Pädagogium, Zeitzeuge „Benjamin Golf“, Bildungsreferent Ron Heckler von der Deutschen Gesellschaft zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa, Berlin, Zeitzeuge Detlef Hubert Peuker und Sek-I-Koordinator Victor Woska.
Uwe Oberdiek vom Grenzlandmuseum Bad Sachsa, Mark Bischoff, stellvertretender Schulleiter am Pädagogium, Zeitzeuge „Benjamin Golf“, Bildungsreferent Ron Heckler von der Deutschen Gesellschaft zur Förderung politischer, kultureller und sozialer Beziehungen in Europa, Berlin, Zeitzeuge Detlef Hubert Peuker und Sek-I-Koordinator Victor Woska. © FMN | Katharina Franz

Zu wenig Zeit für das geteilte Deutschland in der Schule?

Die Lehrer Woska und Bischoff wollen es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, sich ausführlich mit dem geteilten Deutschland auseinanderzusetzen. Im Lehrplan des Landes Niedersachsen für das Unterrichtsfach Geschichte sind die konkurrierenden Staatsformen und Werteordnungen der beiden deutschen Staaten DDR und BRD unter dem strukturierenden Aspekt Herrschaft und Staatlichkeit für die Schuljahrgänge neun und zehn vorgesehen. Allerdings bleiben dafür oft nur wenige Unterrichtsstunden, da die Zeit von der Weimarer Republik (1919 bis 1933) bis zur Wiedervereinigung im Jahr 1990 in die zwei Schuljahre gequetscht werden muss.

Das bemängelt Oberdiek. Darum unterstützt der Museumsleiter das Seminarfach - wie genau die Zusammenarbeit aussehen soll, wird sich im Laufe der kommenden drei Halbjahre ergeben. Es ist ein Pilotprojekt zwischen dem Grenzlandmuseum Bad Sachsa und dem Internatsgymnasium. Durchaus vorstellbar wäre, dass die Forschungsergebnisse der Schüler in die nächste Ausstellung einfließen.

Nach der Veranstaltung haben weitere Schülerinnen und Schüler Ideen, womit sie sich in ihren Seminarfacharbeiten auseinandersetzen wollen: Alexandra Lehmköster will beispielsweise mehr über die Sportförderung in der DDR herausfinden. Sie ist Eiskunstläuferin und die in der DDR aufgewachsene Katarina Witt ist eines ihrer Vorbilder.

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