Bad Lauterberg/List/Wellington. Gift spritzen, Fallen stellen, Hunde anleinen. Stella Kinne aus Bad Lauterberg erklärt, was das mit Natur- und Artenschutz zu tun hat.

Die Naturschützerin Stella Kinne aus Bad Lauterberg im Harz hat in diesem Sommer zwei Monate lang als Rangerin auf der Nordseeinsel Sylt gearbeitet. Mit Bodycam, Pfefferspray und Handschuhen ausgerüstet, hat sie dafür gesorgt, dass Hundehalter ihre frei laufenden Tiere anleinen und die „Sylter Rose“ bekämpft. Ab 2024 ist sie ganzjährig im Listland im Einsatz. Dann will sie weitere Naturschutzprojekte in Angriff nehmen, beispielsweise zum Schutz der Kreuzkröte.

Stella Kinne, Sie waren auf Sylt erst Naturschutzbotschafterin und dann Rangerin. Dabei haben Sie Buchwissenschaften studiert. Wie kam es, dass Sie nun im Bereich Ökologie und Umweltschutz arbeiten?

Ich wollte schon immer einen Freiwilligendienst machen, habe das aber nach dem Abi nicht geschafft. Und dann war nach meinem Bachelorabschluss der perfekte Zeitpunkt. Tierschutz und Artenschutz bei Tieren und Pflanzen gehören zu meinen Leidenschaften und so kam ich als Naturschutzbotschafterin an die Küste.

Also aus der Bibliothek in die Wildnis – wie kamen Sie zurecht?

Ich habe das noch besser gefunden als ich dachte. Durch Corona gab es ein Angebot, den Freiwilligendienst zu verlängern, sodass ich das fast anderthalb Jahre lang gemacht habe, statt wie ursprünglich geplant ein halbes Jahr.

Was waren Ihre Aufgaben?

Ich war von März 2020 bis Sommer 2021 als Freiwillige in der Schutzstation Wattenmeer aktiv. Bedingt durch Corona habe ich dort bereits eigene Projekte angefangen. Über den Winter entstand zum Beispiel das Strandinsel-Projekt. Dabei werden zum Schutz von Strandvögeln und Strandpflanzen Schutzzonen errichtet. Das Projekt gibt es immer noch.

Mit wem haben Sie dafür zusammengearbeitet?

Auf Sylt gibt es sieben Umwelt- und Naturschutzvereine. Ich war sozusagen das Bindeglied.

Haben Ihnen Skills aus Ihrem Studium dabei weitergeholfen?

Ich hatte einen Zwei-Fächer-Bachelor und habe neben Buchwissenschaften noch Wirtschaft studiert. Da war Marketing ein ganz großes Thema. Das Wissen kann ich in die Umweltschutzarbeit einbringen.

Und alles, was Sie über Naturschutz wissen oder wissen müssen, eignen Sie sich dann selbst an?

Ich habe mir viel selbst beigebracht, mit allen möglichen Leuten gesprochen und Seminare besucht. Wenn man wirklich so für eine Sache brennt wie ich für den Tierschutz, glaube ich, dass man als Einsteiger sehr gut in andere Berufe rein kann.

Sie sind inzwischen nicht mehr die Naturschutzbotschafterin auf Sylt, sondern haben eine neue Stelle auf der Insel.

Ja. Nach anderthalb Jahren habe ich meine Stelle an eine neue Person abgegeben, die das jetzt auch immer noch macht, und bin nach Neuseeland gegangen. In diesem Sommer bin ich wiedergekommen und habe im Listland, also ganz oben im Norden von Sylt, als Rangerin gearbeitet. Die Stelle wurde komplett neu geschaffen.

Nur für den Sommer?

Ab 2024 fülle ich die Stelle ganzjährig aus. Eigentlich brauchen wir noch viel mehr solcher Stellen. Im Naturschutz gibt es so viel, das getan werden kann oder muss.

Arbeiten Sie wieder mit den Naturschutzvereinen zusammen?

Ja, aber meine Arbeitgeber sind dieses Mal die Landeigentümer des Listlands. Das ist alles Privateigentum.

Was wollen die Landeigentümer mit einer Rangerin?

Die haben hier viele Schafe und Lämmer. Ein großer Fokus meiner Arbeit liegt darauf, dass ich Hundehalter daran erinnere, sich an die Leinenpflicht zu halten, die hier überall gilt. Viele achten einfach nicht darauf und dadurch werden immer wieder Schafe und Lämmer gerissen. Außerdem können frei laufende Hunde Vögel und Seehunde stören oder sogar verletzen.

Was macht für Sie den Reiz im List-Land aus?

Es gibt hier viele Tier- und Pflanzenarten, die man auch noch mit verschiedenen Aktionen schützen kann.

Bietet Sylt mehr Potenzial für Naturschutz als in anderen Ecken von Deutschland?

Würde ich schon sagen. Weil die Naturschutzgebiete auf der Insel einfach riesig sind. Wir haben eine der größten Heideflächen in Schleswig-Holstein. Dann sind da die Dünenlandschaft und natürlich der Strand, die Salzwiesen, das Wattenmeer, die offene Nordsee und sogar kleinere Wälder. Es gibt einfach so viele unterschiedliche Tierarten, die es in anderen Teilen Deutschlands gar nicht gibt.

Welche zum Beispiel?

Die Kreuzkröte hat europaweit das größte Vorkommen hier auf Sylt. Die Art ist stark gefährdet und kurz davor, vom Aussterben bedroht zu sein. Direkt vor der Tür bei mir hier am Sylter Ellenbogen haben wir eine Strandinsel aufgebaut für die letzten Kolonien von Zwergseeschwalben und Küstenseeschwalben. Das sind auch Vogelarten, die bereits vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet sind. Man kann auf Sylt unglaublich viel tun, weil die Tiere noch da sind.

Naturschutz auf Sylt

50 Prozent der Heideflächen Schleswig-Holsteins befinden sich auf Sylt. Die Fläche der Nordseeinsel umfasst knapp 100 Quadratkilometer, von denen etwa 50 Prozent Naturschutzgebiet sind. Zusätzlich gibt es weitere Schutzzonen wie Landschaftsschutzgebiete, sodass insgesamt rund 75 Prozent der Insel geschützt sind.

Die Flächen sind in zehn unterschiedliche Naturschutzgebiete aufgeteilt. Die Bad Lauterbergerin Stella Kinne betreut als Listland-Rangerin eins der größten: NSG Nord Sylt. Das schließt Ellenbogen, Wanderdünen und Möwenbergdeich mit ein.

Kinne absolvierte bereits ab März 2020 einen anderthalbjährigen Freiwilligendienst als Naturschutzbotschafterin auf Sylt. Damals führte sie das Strandinselprojekt ein. Dabei werden an Stränden Schutzzonen für Vögel und Pflanzen eingerichtet.

Sie haben auch schon in Neuseeland als Rangerin gearbeitet, sind gerade wieder dort unten.

Ich hatte immer schon den Traum, mal in Neuseeland zu arbeiten. Neuseeland ist eines der Länder, die Vorreiter im Naturschutz sind und investieren sehr, sehr viel Geld. Das kann man gar nicht mit Deutschland vergleichen.

Wie arbeiten Naturschützer am anderen Ende der Welt?

In Neuseeland haben sie schädliche Arten und müssen schauen, dass die dort irgendwie wieder wegkommen oder zumindest eingedämmt werden. Die haben eine andere Rechtslage. Zum Beispiel wollen sie dort gar keine Säugetiere haben. Denn insbesondere die Prädatoren sind eine Gefahr für die vielen flugunfähigen Vögel. Um die zu schützen, tötet man ohne Kompromiss alle Prädatoren.

Klingt extrem.

Ja, ist es. Aber in Deutschland haben wir eine andere extreme Art: Wir wollen jedes Lebewesen schützen, selbst die Arten, die nicht heimisch sind und die anderen fressen.

Welches Ziel verfolgt man in Neuseeland?

Sie wollen die Artenvielfalt wiederherstellen, indem sie die Prädatoren töten. Ziel ist, bis 2050 alle Prädatoren auszurotten.

Welche Methoden verwendet man, um das zu erreichen?

In Neuseeland geht es beispielsweise wesentlich einfacher, Fallen aufzustellen. In Deutschland dürfen das nur Jäger und die Falle muss vom Tüv abgenommen sein. Alles wird genau kontrolliert. In Neuseeland ist das kaum der Fall.

Was halten Sie davon?

Es gibt auf jeden Fall Dinge an den Methoden in Neuseeland, die verbesserungswürdig sind. Man sollte qualvolles Töten vermeiden.

Trotzdem halten Sie Neuseeland für einen Vorreiter im Naturschutz?

Ja, dort hat man zahlreiche Studien darüber gemacht, was welcher Prädator gerne mag, an welche Pflanzen welcher Vogel geht. Die haben wirklich viel Forschungs- und Sortierungsarbeit geleistet.

Warum geht man gegen invasive Arten vor?

Auf Sylt gibt es zum Beispiel die Rosa Rugosa – die wird manchmal auch „Sylter Rose“ genannt. Die sieht eigentlich ganz schön aus, gehört hier aber nicht her. Sie verbreitet sich in den Dünen und wenn man sie nicht stoppt, würde sie die komplette Dünenlandschaft übernehmen. Dann hat man gar nicht mehr den Strandhafer und die Heide.

Wie wird man so eine Pflanze wieder los?

Herausreißen kann man sie kaum noch, weil das Wurzelwerk so tief im Boden drinsteckt. Eigentlich müsste man Gift einsetzen. Aber das ist nicht erlaubt. Am Sylter Ellenbogen ist es zum Glück noch nicht so schlimm. Wir konnten die Pflanze an den betroffenen Stellen ausbaggern. Zu meinen Aufgaben gehörte es, per Hand nachzubereiten und sicherzustellen, dass keine einzige Rugosa nachwächst.

Klingt anstrengend.

Für den Ellenbogen lohnt es sich noch. In anderen Gegenden ist das gar nicht mehr zu leisten.

Was gibt es da für Möglichkeiten, wenn man kein Gift einsetzen möchte?

Da kann man sich ein Beispiel an Neuseeland nehmen. Die haben zur Bekämpfung von invasiven Arten Langzeitstudien angefertigt. Im Falle der Rugosa würde das bedeuten, dass man untersucht, was die Rose in deren Herkunftsgebiet, nämlich Ostasien, in Schach hält. Das könnten Pilze oder Käfer sein. Und die könnte man dann zur Bekämpfung einsetzen.

Schleppt man sich da nicht gleich die nächste invasive Art ein, die irgendwann ein Problem darstellen könnte?

Um das zu vermeiden, führt man im Vorfeld sehr, sehr lange Studien darüber durch. Aber natürlich gibt es ein Restrisiko.

Gibt es so etwas wie den klassischen Arbeitstag eines Rangers?

In meinem Job als Listland-Rangerin bin ich über 90 Prozent der Zeit draußen. Ich gehe oder fahre den Ellenbogen und das restliche Listland mehrmals am Tag ab und schaue, dass alles gut läuft - heißt, ich halte alle Menschen dazu an, ihren Hund an die Leine zu nehmen und nicht die Naturschutzgebiete zu betreten. Ebenso bin ich Ansprechpartnerin für alle Naturschutzbelange. Ich sammle auch Müll. Neben der Gebietsbetreuung manage ich noch Naturschutzprojekte wie das Entfernen der Rosa Rugosa. Zusammenfasst: Gebietsbetreuung, Aufklärungsarbeit und Naturschutzprojekte umsetzen.

Sie sind gerade zurück in Neuseeland, weil ihr Visum noch gültig ist. Aber ab dem kommenden Jahr geht es für Sie auf Sylt weiter. Die Insel ist ein beliebtes Urlaubsziel. Wie lassen sich Tourismus und Naturschutz vereinbaren?

Es kommt ein bisschen darauf an. Ein Nachteil ist der Müll, den Urlauber hinterlassen. Das sind selten große Mengen. Mal ist es ein liegen gelassener Hundekotbeutel, mal sind es Taschentücher, wenn jemand in den Dünen auf dem Klo war. Außerdem geht es nicht, dass die Vögel ständig gestört werden. Deswegen gibt es Schutzzonen, in die wirklich niemand hinein darf. Gleichzeitig fehlt noch viel Aufklärung und hier vor Ort kann man einiges an Bildungsarbeit leisten. Wir können den Leuten hier vor Ort zeigen, warum wir die Rosa Rugosa entfernen und welchen Zweck Schutzzonen für Vögel erfüllen. Das sorgt für Verständnis.

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