Braunschweig. Der Telefonseelsorger Christian Kohn erklärt, wie man über Suizid-Gedanken spricht und warum Reden die beste Prävention ist.

„Bevor du dich umbringst, ruf mich an“, schrieb der Brite Chad Varah 1953 in einer Zeitungsanzeige. Und sein Telefon klingelte. Bald konnte er die Flut an Anrufen nicht allein bewältigen – die Geburtsstunde der Telefonseelsorge. Heute spricht die deutsche Telefonseelsorge jährlich 56 000 Mal mit Ratsuchenden über Suizidgedanken. Im Interview mit Geraldine Oetken erklärt Christian Kohn, Leiter der Telefonseelsorge in Braunschweig, was ein „rettendes Gespräch“ ist.

Herr Kohn, warum ist es wichtig, öffentlich über etwas so schmerzhaftes wie Suizid zu sprechen?

In Deutschland gibt es mehr als 10 000 Suizide im Jahr. Das sind mehr Tote als durch Drogen oder Verkehrsunfälle. Selbsttötung ist ein gesellschaftlicher Faktor.

Wie schwierig sind die Gespräche?

Noch anders als der natürlich Tod, bei dem Angehörige auch mit einer großen Emotionalität reagieren, kommen beim Suizid auch Gefühle von Schuld und Scham auf. Vom Umfeld wird dann vielleicht gefragt, was im Argen lag. Das macht es so schwer. Dazu denken viele Leute, dass sie depressive Menschen erst darauf bringen, wenn sie das Thema Selbsttötung direkt ansprechen. Genau da ist Aufklärung nötig.

Was kann das soziale Umfeld zur Vorbeuge tun?

Es hilft, die Suizidgedanken anzusprechen. Ganz direkt. Und natürlich brauchen Menschen, die von Suizidgedanken betroffen sind, Begleitung und Beratung. Aber manchmal kann man die Signale auch einfach nicht erkennen. Nicht jede Selbsttötung kann verhindert werden. Da geht es dann aber nicht um Schuld.

Also Unterstützung zeigen?

Genau das ist Prävention. Den Leuten zu zeigen: Ihr seid nicht allein. Und in den Beratungsstellen gibt es Leute, die mit Suizid und Isolation auch professionell umgehen können. Stellen Sie sich einfach nur vor, Sie würden Ihren Freunden oder ihrer Familie sagen, Sie dächten manchmal an Suizid. Aus Sorge würden Ihre Freunde möglicherweise all das ersticken, was Sie mit der Äußerung zum Ausdruck bringen wollten. Und wenn Sie dann mit jemanden von der Telefonseelsorge darüber sprechen, der nicht gleich mit einer Angsthaltung kommt, dann können Sie viel offener reden. Zumal Sie ja auch bei der Telefonseelsorge ja dazu noch anonym anrufen.

Worum geht es in den Beratungsgesprächen?

Die Anrufer können sagen, warum sie die Suizididee haben. Welche Ängste dahinter stehen und welchen Konflikt sie damit zu lösen gedenken. Außerdem gehen wir davon aus, dass bei suizidalen Menschen nicht grundsätzlich ein Todeswunsch vorhanden ist. Sondern vor allem der Gedanke im Kopf ist: „So will ich nicht weiterleben“. Ein Telefonseelsorger könnte dann fragen, ob es noch andere Möglichkeiten gibt, den Konflikt zu lösen.

Wer ruft an?

Wir sind für alle da. Doch der größte Anteil sind ältere Menschen, die über Zukunftsängste, Einsamkeit, Beziehungen oder Probleme bei der Arbeit sprechen wollen. Junge Menschen richten sich eher an unsere Angebote im Internet, E-Mail-Beratungen und Chat-Gespräche. Im Internet bringen die Hilfesuchenden aber Suizid häufiger zur Sprache als am Telefon.

Wer sind die Menschen an den Apparaten in der Telefonseelsorge?

DIE TELEFONSEELSORGE

Anonym und kostenlos können Hilfesuchende unter 0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222 die Telefonseelsorge erreichen. Im Internet:

www.telefonseelsorge.de