Braunschweig. Richard Kiessler schreibt über Israel, das eines der erfolgreichsten Länder mit Firmengründungen im IT-Bereich ist.

In der unscheinbaren Halle von der Größe zweier Tennisplätze, gleich neben den klimatisierten
Stallungen für die Rinder, öffnet sich unvermutet die High-Tech-Welt. Am Rand der Negev-Wüste, im Kibuzz Sde Boker, 150 Kilo-
meter südlich von Tel Aviv,
produzieren Computer-Ingenieure, Elektroniker und Programmierer schlanke Info-Terminals, wie
wir sie aus U-Bahnhöfen, Hotel-
hallen oder Konferenzzentren kennen.

„Wir exportieren in über 40 Länder“, erklärt mir Versandleiter Ariel Nathanson, „unsere Auftragsbücher sind voll.“

Vor vier Jahren haben sie hier ihr digitales Wagnis begonnen, die meisten von ihnen Absolventen der nahen Universität Beersheba.
Diese an die drei Dutzend jungen
Israelis, global orientiert und
säkular eingestellt, verbindet auf
den ersten Blick so gut wie nichts mit den Gründervätern des Staates der Juden. Ihr Lebensstil scheint
die Orthodoxie der in den 30er
und 40er Jahren des vorigen
Jahrhunderts aufgewachsenen
Töchter und Söhne der zionistischen Revolutionäre völlig zu verdrängen.

Doch revolutionär sind die
jungen Entrepreneurs in diesem weltlichen Wüsten-Kibuzz schon
geblieben. Andernfalls wäre
nicht plausibel, dass Israel mit seinen gut sieben Millionen Einwohnern eine der weltweit höchsten Dichten an digitalen Start-Ups aufweist.

Hier boomt der technologische Sektor und scheint von den aktuellen kriegerischen Bedrohungen unberührt. Israel ist es trotz seines unfriedlichen Umfeldes gelungen, offenkundige Nachteile in Stärken zu verwandeln: Aus dem regionalen Boykott seiner Produkte durch die arabischen Nachbarn ist ein auf Hochtechnologie spezialisierter Exportmarkt entstanden. Israels Kreativität ist so gesehen nicht in Relation zu seiner Größe, sondern zu seinen äußeren Bedrohungen entstanden.

„Als Bürokraten sind wir Chaoten“, sagt der Soziologe Oz Almog , „als Techniker sind wir Spitze.“
Diese Affinität zur Technik zusammen mit Innovationskraft und
Unternehmensgeist sowie eine
liberale Einwanderungspolitik haben Israels IT-Erfolg möglich gemacht.

Flache hierarchische Strukturen in der israelischen Kultur haben auch bei den Tüftlern im Kibuzz
Sde Boker zu kreativen Ideen und unkonventionellem Denken geführt: „Wir passen uns den Wünschen unserer Märkte über Nacht an“, berichtet einer der jungen Projektentwickler.

Wie die meisten Israelis hat er drei Jahre Wehrdienst hinter sich – in einer Eliteeinheit der Streitkräfte. Für seinen jetzigen Job war dies entscheidend. Denn für die High-
Tech-Schmieden sind die militärischen Eliteeinheiten besonders
attraktiv: Etliche der digitalen
Start-Ups rekrutieren ihre Mitarbeiter aus der Geheimdienst-Einheit „8200“, die ein intensives Training in Hochtechnologe und Codierung bietet.

Die Armee schult ihre Elite-
soldaten in Teamarbeit und schafft ein lebenslanges Netzwerk an
Kontakten. Gemessen an seiner
Einwohnerzahl verfügt das kleine
Israel über den höchsten Anteil
an Ingenieuren und Wissenschaftlern.