Braunschweig. Richard Kiessler schreibt über die Ölreserven und die Energie-Politik der Vereinigten Staaten.

Der Präsident verspricht, „neue Energiequellen“ für neue Jobs zu erschließen. Sein Herausforderer verlangt ein „energieunabhängiges“ Amerika. In ihrem ersten Rededuell letzte Woche waren noch keine zehn Minuten um, da hatten Barack Obama und Mitt Romney in seltener Einmütigkeit für die Steigerung der heimischen Öl- und Gasproduktion nach den Präsidentschaftswahlen plädiert.

Die Energie-Unabhängigkeit haben schon frühere Präsidenten als erstrebenswertes Ziel proklamiert. In der Amtszeit Obamas ist es konkret geworden: Amerika ist auf dem Weg, in den nächsten zehn Jahren von Öl- und Gasimporten unabhängig zu werden. Und wird zum Energie-Exporteur. Denn nach der Entdeckung des Schiefergases kündigt sich jetzt in der Ölindustrie ein Boom an, der einer Revolution auf dem Weltmarkt gleichkommt.

Auf staatlichem Grund liegen in den Bundesstaaten Colorado, Utah und Wyoming Erdölreserven von drei Billionen Barrel – eine Menge, mehr als dreimal so groß wie die gesamten Reserven Saudi Arabiens. Bei einem derzeit täglichen Ölverbrauch von 19,5 Millionen Barrel würden diese Vorräte der „Green River Formation“ ausreichen, um den heimischen Ölverbrauch 200 Jahre lang zu decken. Kein Wunder, dass der republikanische Kandidat Romney seinen Landsleuten die Sorge vor der Verknappung des schwarzen Goldes mit der Verheißung nimmt: „Die USA sind das Land mit den weltweit größten Energie-Reserven.“

Seit in den USA Ölsände und Gas aus Schiefergestein gefördert wird, wird zu Recht von einer strategischen Wende in der Energiepolitik gesprochen, deren geopolitische und ökonomische Konsequenzen nicht unterschätzt werden sollten. So ist absehbar, dass die USA ihre militärische Präsenz im arabischen Raum verringern und die ölabhängigen Europäer selbst für die Sicherung ihrer Seetransportwege aufkommen müssen.

Das offenkundige Desinteresse an einer direkten Unterstützung der syrischen Aufständischen ist bereits ein deutlicher Hinweis auf die neuen energiepolitischen Perspektiven der Vereinigten Staaten.

Schiefergestein als Energiequelle

Während das Schiefergas seit 2005 in den Vereinigten Staaten einen regelrechten Boom auslöste, obgleich das „grüne Gas“ wegen der bei der Förderung eingesetzten Chemikalien höchst umstritten ist, scheitere die Gewinnung von Öl aus dem Schiefergestein bisher an der fehlenden Technik und den extrem hohen Kosten. Doch die lange unwirtschaftlichen Fördermethoden erscheinen jetzt lukrativ, weil der Ölpreis bei mehr als 80 US-Dollar pro Fass verharrt.

Das Gestein wird im Tagebau abgebaut und auf Temperaturen von 500 Grad erhitzt. Auf diesem Weg wird mit hohem Energieaufwand ein Prozess nachgeholt, den die Natur bei konventionellen Ölvorkommen durch Versenken in große Tiefe selbst geleistet hat.

Wie weit der Ölschiefer das Ende des Ölzeitalters hinaus schiebt, wird sich in den nächsten Jahren erweisen. Sollten aber alle Öl- und Gasschieferreserven gefördert und verbrannt werden, wären sämtliche Klimaschutzziele über den Haufen geworfen.