Braunschweig. Richard Kiessler schreibt über die „Bonsai-Reformen“, die das Regime in Kuba gerettet haben – vorerst.

Erste Nachricht: In Havanna wurden 58 „Damas de Blanco“ (Damen in Weiß) verhaftet, geschlagen und entführt, weil sie für die Freilassung politischer Gefangener demonstrierten.

Zweite Nachricht: 30 Dissidenten beendeten ihren Hungerstreik, ohne ein Ende der Repression erreicht zu haben.

Dritte Nachricht: Die Chefredakteurin der Parteizeitung „Granma“ setzte sich in die USA ab.

Vierte Nachricht: Ein Stromausfall hüllte 10 der 15 kubanischen Provinzen, die Hauptstadt inklusive, ins Dunkel – ein Schlagschatten auf die marode Infrastruktur der Karibikinsel. Das sind typische Nachrichten der letzten Septembertage aus Kuba.

Verblüffend banal, aber ungewohnt ist, dass Gilberto Valladares einen Lehrling in seinem Barbershop einstellt, dass Guillermo

Portero sich eine Wohnung kauft, dass Rachel Carvajal im Hinterhof ihres Hauses ein Café eröffnet und dass Ernesto Lopez an den Haustüren Tomaten, Kräuter und Brokkoli feilbietet.

Auf dem Platz der Revolution hörte ich bei meinem ersten Kuba Besuch Fidel Castro gegen jene „gierigen Kleinkapitalisten“ wettern, die vor dem Baseball-Stadion in Havanna Drops zu verkaufen wagten. Privater Besitz war für den „Maximo Lider“ Diebstahl, Eigentum verboten. (Sein ältester Sohn lässt uns wissen, dass der 86-jährige „bei klarem Verstand hart arbeitet“ und oft mit Venezuelas Diktator Hugo Chavez telefoniert).

Bis vor Jahresfrist waren Kleinunternehmer undenkbar. Jetzt aber zu behaupten, Bruder Raul Castro, seit 2008 Fidels Nachfolger, breche mit den Idealen der in die Jahre gekommenen Revolution und führe den Kapitalismus ein, wäre übertrieben. Doch Kubas kruder Staatssozialismus ist gescheitert. Deshalb wird nun das Kunststück geprobt, die Privatwirtschaft behutsam zu deregulieren, ohne die straff gelenkte Staatsökonomie in den Schlüsselbereichen dranzugeben.

350 000 neue Minibetriebe

In der Sprache der kommunistischen Kader heißt es „actualizacion“ (Aktualisierung), wenn jetzt Kleinunternehmen, Handwerksbetriebe, Restaurants oder freie Bauernmärkte mitmischen dürfen. Weil das Staatsbudget gestutzt und bis zu 1,5 Millionen Bedienstete entlassen werden, sind im ersten Gründungsfieber bislang über 350 000 Mini betriebe entstanden.

Doch das „andere Kuba“ (so die Exilzeitung „Nuevo Herald“) verschließt sich nach wie vor einer politischen Öffnung. Die Zulassung von Parteien oder oppositionellen Gruppen käme für Raul Castro „der Legalisierung der Partei des Imperialismus“ gleich. Auf Reise- oder gar Meinungsfreiheit warten die Kubaner ebenfalls vergebens. Der Inselstaat bleibt von der staatlichen Misswirtschaft gezeichnet – und vom 1960 verhängten Wirtschaftsembargo der USA. Seit dem Kollaps der Sowjetunion brachen Subventionen und Exporterlöse ein. Die Kubaner sind heute ärmer als vor 1989.

Für den Ökonomen Oscar Espinosa Chepe haben die „Bonsai-Reformen“ fürs Erste den Zusammenbruch des Regimes aufgehalten. Weil das Risiko sozialer Unrast groß ist, bleiben der Wandel strikt kontrolliert – und die Aussicht auf einen kubanischen Frühling vorerst trübe.