Der Tropensturm „Isaac“ vermochte nur kurz von der pompösen Heerschau der Republikanischen Partei in Tampa abzulenken. Doch die Inthronisierung Mitt Romneys zum Herausforderer Barack Obamas bietet einen erschreckenden Blick auf die moralische und soziale Verheerung Amerikas.

Hetze und Hader, Hass, Verachtung und Denunziation markieren die Erosion der Zivilkultur, die alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt. Die Idee vom Kompromiss ist getilgt, das soziale Kapital wird aufgezehrt, die Blockade ist zum Vorsatz geworden.

„Es herrscht eine unglaublich aggressive Grundstimmung zwischen zwei immer mehr auseinander driftenden Lagern,“ beobachtet der Schriftsteller Richard Ford, „wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns.“ Die Hauptverantwortlichen für Amerikas schwindenden Zusammenhalt sind der millionenschwere Präsidentschaftskandidat und seine ideologisch aufgeladenen Mitstreiter. Mit der „Grand Old Party“, mit den gemäßigten konservativen und liberalen Republikanern früherer Tage, wollen sie nichts mehr zu tun haben: Niedrige Steuern für die Reichen und ein Rückzug des Staates lauten die mit religiöser Inbrunst propagierten Glaubenssätze.

Die Schieflage ist längst zu besichtigen: Das eine Prozent der Superreichen verfügt über ein Drittel des privaten Vermögens oder den Gegenwert von 22 Prozent des Sozialproduktes. 46 Millionen Amerikaner leben in Armut. Eine soziale Ungleichheit dieses Ausmaßes gab es zuletzt in den 1920er Jahren. Doch im Gegensatz zur Großen Depression mit ihren „high hopes amid hard times“, den großen Hoffnungen inmitten harter Zeiten, sind die Erwartungen düster: Nur 16 Prozent der Amerikaner, so wenige wie nie zuvor, mögen der nächsten Generation ein besseres Leben prophezeien.

Der amerikanische Traum, das Gründungsversprechen dieser einst so optimistischen Nation („Wer unten ist, kann auch nach oben kommen“), ist dahin. Heute gilt: Wer reich ist, wird reicher. Wer arm ist, bleibt arm. Und die dahinschmelzende Mittelschicht dazwischen durchlebt einen schmerzhaften Zerrüttungsprozess. Die horrende Staatsverschuldung, die fortschreitende Deindustrialisierung, die wirtschaftliche Depression und die immer noch lähmende Aussicht auf neue Jobs haben Amerikas traditionelle Kraft zur Selbsterneuerung in einen Zustand kollektiver Beklemmung verwandelt.

Der große Hoffnungsträger Obama hat diese Entwicklung nicht bremsen können und muss um seine Wiederwahl bangen. Die feindselige Rechte, die den ersten afro-amerikanischen Präsidenten für einen Betriebsunfall hält, hat den von ihr beherrschten Kongress in Geiselhaft genommen und den Barrikadenkampf zum Prinzip erklärt. Ein Ende dieser Selbstblockade ist nicht in Sicht. Mit dem Republikaner Romney könnte es noch schlimmer kommen: Wer sich, wie er, am Markt behauptet, kommt in den Genuss staatlicher Umverteilung von unten nach oben. Wer keinen Job findet, soll auch nicht dem Staat auf der Tasche liegen. Amerika, du hast es schlechter…