Braunschweig. Richard Kiessler, außenpolitischer Korrespondent unserer Zeitung, zur aufgeheizten Situation in Israel.

Die Gasmasken werden gratis verteilt. Die Zivilschutzübungen häufen sich. Die Raketen-Alarme kommen per SMS: Israel bereitet sich auf den Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen vor. Kein Tag ohne alarmierende Schlagzeilen, ohne hitzige Debatten über die existenzielle Bedrohung des jüdischen Staates und die unsäglichen Gefahren des Krieges. Steht der Waffengang gegen die Hardliner in Teheran unmittelbar bevor? Oder ist das Alarmgebrüll der Hardliner in Jerusalem bloße Taktik?

In Israel liegen die Nerven blank. Premier Benjamin Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak haben ihre Rolle als Kriegstreiber gefunden. Sie glauben, jetzt handeln zu müssen, weil es morgen zu spät sein könnte. Auch wenn ein Angriff die Atomträume der Mullahs nur zeitlich verzögern würde. Und für die USA, so Verteidigungsminister Leon Panetta, „das Fenster noch offen ist, um an einer diplomatischen Lösung zu arbeiten“.

Der anschwellende Drohgesang in Richtung Iran wirft die Frage auf, ob die israelische Führung mit einem Alleingang klug beraten ist. Oder ob sich „König Bibi“, wie ihn das Magazin „Time“ getauft hat, überhaupt beraten lässt.

Ich bin Netanjahu nie persönlich begegnet. Doch wir haben uns vor Jahren live bei CNN gefetzt. Er war da Israels Botschafter in Washington und behauptete, der Terrorismus könne nur militärisch mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Ich hielt, aus Bonn zugeschaltet, entgegen, man müsse ihn politisch und sozial bekämpfen.

In seinem messianischen Eifer scheint der Heißsporn Netanjahu nicht berechenbar zu handeln. Er ist allerdings auch ein Pokerspieler und Zauderer. Seine kriegerische Rhetorik entpuppt sich, bei Lichte besehen, als dreister Versuch, die US-Regierung vor den Wahlen unter Druck zu setzen. Er misstraut Barack Obama, er hält den Präsidenten für ein Weichei. Obgleich dieser wie keiner seiner Vorgänger die Sicherheit des jüdischen Staates garantiert hat.

Netanjahu weiß natürlich, dass er selbst nach einem erfolgreichen Luftschlag auf die USA angewiesen ist. Denn die Gegenreaktion werde „furchtbar“ sein, hat Irans Führer Ali Chamenei letztes Wochenende angekündigt, und das Leben in Israel „in eine wahre Hölle verwandeln.“

Der Iran würde in der Tat aus allen Rohren feuern, hunderte, wenn nicht tausende Raketen in Richtung Israel schicken, womöglich die Ölanlagen der ganzen Region in Brand schießen und so eine Konfrontation schaffen, bei der die westlichen Staaten, auch Deutschland, an der Seite Israels und Russland und China an der Seite des Iran stünden.

Es drohte, prophezeit der Nahost-Experte Michael Lüders, „die ernsthafteste weltpolitische Krisensituation seit der Kuba-Raketenkrise 1962“.

Sollte Netanjahu den Angriffsbefehl geben, bleibt Obama keine andere Wahl, als in einen Krieg zu ziehen, den er nicht wollte. Dass die Atomanlagen Irans binnen 30 Tagen zerstört seien und Israel maximal 500 Tote beklagen müsste, wie Ehud Barak behauptet, ist pures Wunschdenken.