Braunschweig. Richard Kiessler, außenpolitischer Korrespondent unserer Zeitung, über Nordkoreas jungen Machthaber Kim Jong Un und dessen riesige Armee

Auf der Tongdaewon-Straße, im Zentrum Pjöngjangs, denkt der Fahrer der Kader limousine gar nicht daran, die Vorfahrt zu achten. Von rechts, auf der Taehak-Straße, rasen zwei olivgrüne Militärfahrzeuge heran.

Quietschende Bremsen bringen die Autos in einem Abstand von 30 Zentimetern zum Stehen. Der Lenker aus dem Mercedes mit dem Kennzeichen-Ende 7 – das steht für Kommunistische Partei – springt heraus und beschimpft die Soldaten. Die geben ohne Diskussion klein bei – und die KP-Limousine mit den ausländischen Gästen erzwingt die Vorfahrt.

So demonstriert Nordkoreas Arbeiterpartei ihr neues Selbstbewusstsein. „Die Partei kommandiert die Gewehre“, lautete Mao Tse-tungs Dogma für China. Doch Nordkorea folgt dem großen Nachbarn durchaus nicht immer. Unter Kim Jong Il, dem 2011 gestorbenen „Geliebten Führer“ rangierte das Militär vor der Partei. Sein 30-jähriger Sprössling Kim Jong Un, der der Liaison seines Vaters mit einer japanischen Tänzerin entsprang, ernannte sich zwar zum Marschall und versicherte sich – laut staatlicher Nachrichtenagentur KCNA – des „grenzenlosen Respektes der Armee“. Doch der „große illustre Kommandeur“ ist dabei, den Militärs ihre Herrschaft über Nordkoreas marode Kommandowirtschaft zu entreißen. Die „Songun“-Politik des „Militär zuerst“ wird nicht nur im Straßenverkehr getilgt.

Zuerst schob Marschall Kim Generalstabschef Ri Yong-Ho ins angeblich krankheitsbedingte Abseits. Dabei war der 69-jährige Armeechef eine jener sieben Regimegrößen, welche die Lafette mit dem Sarg des Machthabers mit Kim jr. durch Pjöngjang eskortieren dürften.

Jetzt muss die 1,2 Millionen-Mann-Armee, deren Lastwagen bislang ein Viertel der Erträge aus den staatlichen Kolchosen in die Kasernen karrten, um ihre Privilegien bangen. Nordkoreas junger „Oberster Führer“ sucht die Landwirtschaft des von Hungersnöten bedrohten und Naturkatastrophen heimgesuchten Atomstaates zu reformieren – mit Experimenten mit freien lokalen Märkten.

Ein halbes Jahr nach Antritt seines Erbes scheint Kim Jong Un entgegen den Cassandra-Rufen der Nordkorea-Astrologen das Zepter der Kim-Dynastie fest in der Hand zu halten. Als Mentor steht ihm sein Schwager Jang Song Taek zur Seite. Der Chef der Kontrollkommission der Arbeiterpartei ist im Volk als Hardliner verschrien.

Ob der Stilwechsel Kim Jong Uns dem abgeschotteten Nordkorea die dringlichen Reformen beschert, lässt sich noch nicht sagen. Zwar zeigt sich der ungelenk grinsende Kim mit seiner 23-jährigen Ehefrau Ri Sol Ju im Vergnügungspark „Rugna“ oder in einer Pizzeria. Die angetraute Genossin war immerhin schon mal in Südkorea und wird ihrem Gatten berichten können, dass dort entgegen der nordkoreanischen Propaganda keineswegs Hunger und Elend herrschen. Diesem Los seines darbenden Volkes wird sich die schmale kommunistische Luxus-Elite in Pjöngjang nicht aussetzen wollen. Der Regime-Erhalt bleibt die Maxime, auch wenn die Partei die Gewehre kommandiert.