Braunschweig. Richard Kiessler, außenpolitischer Korrespondent unserer Zeitung, über die russische Außenpolitik unter Präsident Putin

Er bezwingt einen Tiger. Er obsiegt als Judoka im Zweikampf. Er zeigt sich mit entblößtem durchtrainierten Oberkörper als Angler im reißenden Fluss, als Reiter in der Taiga oder als Schwimmer im sibirischen Tuwa. Erst als er im Taucheranzug zwei 2000 Jahre alte Amphoren präsentiert, die er – frei von Schlamm und Sand – auf dem Meeresgrund aufgespürt haben will, bricht der Spott los, ein sogenannter „shit-storm“ der Netzgemeinde. Wladimir Putins Muskelspiele verfangen beim eigenen Publikum nicht mehr.

So ergeht es derzeit der russischen Außenpolitik. Sie sucht, ob im Bürgerkriegsland Syrien oder im Atomstaat Iran, etwas vorzutäuschen, was sie nicht hat: Weltgeltung. Sie agiert trotzig aus dem Schmollwinkel. Putins Russland fühlt sich vom Westen nicht als vollwertiger Partner akzeptiert.

Wie ein Ruf in den dunklen Wald klingen Putins Schmähungen über den Niedergang des westlichen Widerlagers und dessen „Export von Bomben- und Raketendiplomatie“.

In seiner dritten Amtszeit trachtet der Rückkehrer in den Kreml in einer Liga mit den USA zu spielen und mit den „Schwächlingen“ in der EU zumindest auf Augenhöhe (und ohne Visazwang) zu verkehren. Sein autoritärer Stil, die ausufernde Korruption, die unfähige Bürokratie oder der Klimasturz bei den ausländischen Investitionen sollen die Rückkehr zum alten Ruhm einer Großmacht nicht verstellen.

Doch Russland mutiert zur Zeit von einem unbequemen, aber notwendigen Partner zu einem irrlichterden, kaum berechenbaren internationalen Spieler, um den man am liebsten einen Bogen machen würde. Wenn man könnte. Man kann aber nicht. Denn Russland bleibt Vetomacht im Sicherheitsrat der Uno. Doch die Versuche der russischen Diplomatie, sich über den ständigen Sitz Weltgeltung zu verschaffen, drohen zu scheitern. Im Atomstreit mit dem Iran gerät Russland mit seiner Weigerung, dem Regime der Mullahs mit schmerzhaften Sanktionen die Stirn zu bieten, an den Spielfeldrand. Im vermutlich letzten Akt der syrischen Tragödie unterläuft Putin der gleiche Fehler: Dort ist so viel Blut geflossen, dass ein Verhandlungsfrieden unmöglich geworden ist. Nicht nur in den Augen der Rebellen hat Moskau aufs falsche Pferd gesetzt.

Vom Neubeginn in den russisch-amerikanischen Beziehungen ist nach dem Druck auf den Reset-Knopf nicht viel geblieben. Hier darf die Schuld freilich geteilt werden: In Washington sind Kräfte am Werk, die die Beziehungen zu einem geschwächten Russland für vernachlässigenswert halten. Deshalb glaubt Putin vor einer „vorschnellen Angriffslust“ des Westens warnen zu müssen. Er ist von der Vorstellung besessen, die Russland umgebende Welt sei feindselig und unendlich gefährlich. Russland zu schützen und keine Destabilisierung zuzulassen, weder im Äußeren noch im Inneren, gleicht einer Paranoia.

„Der heutige Staat“, sagt die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja (und meint Putin), „interessiert sich ziemlich wenig für Ideologie. Ihn interessiert nur die Macht.“