Braunschweig. Richard Kiessler, außenpolitischer Korrespondent unserer Zeitung, zu den Chancen der Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama.

In den Umfragen lässt der einstige Hoffnungsträger den blassen Herausforderer durchaus hinter sich. Doch ob Barack Obama wieder gewählt wird, ist keineswegs so sicher, wie viele seiner Anhänger hier zu Lande hoffen. Sollte die Wirtschaft in den nächsten vier Monaten nicht den verheißenen Aufschwung nehmen, sollten sich die Auftragsbücher nicht füllen und die Quote der Arbeitslosen sinken, könnte Mitt Romney als 45. US-Präsident ins Weiße Haus ziehen.

Wir nehmen zumeist Obamas außenpolitische Erfolge ins Visier: Er machte Schluss mit dem Irak-Abenteuer, er leitete den fälligen Rückzug aus Afghanistan ein, er brachte Osama bin Laden zur Strecke und schwächte die Al Kaida.

Den schwelenden Nahost-Konflikt, den Atomstreit mit Iran vermochte er nicht zu schlichten, das neue Verhältnis zu Russland ist steckengeblieben. Obama hat viele Hoffnungen, die er weckte (aber gar nicht erfüllen konnte) enttäuscht. Mehr als die Hälfte der Amerikaner stellen ihrem Präsidenten ein mieses Zeugnis aus, zwei Drittel wähnen „Gottes eigenes Land“ auf dem Holzweg. Gleichwohl erfreut sich Obama noch immer höherer Sympathiewerte als Romney.

Die Gräben in Amerikas Gesellschaft sind tiefer geworden, die politischen Lager unversöhnlicher, das soziale Klima verdorbener. Obamas Versöhnungsappell ist verhallt: Hinter ihrem Ziel, seine Wiederwahl zu verhindern, opfern die Republikaner sämtliche zivilgesellschaftliche Tugenden. Sie verwerfen Gesetze, selbst wenn diese ihrem Parteiprogramm entnommen sind. Sie torpedieren im Kongress jeglichen überparteilichen Konsens. Sie nehmen die Gesellschaft zur Geisel. Sie agieren ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage ihres tief verschuldeten Staates. Sie verweigern jegliche Kooperation mit der Partei des Präsidenten. Sie haben sich vom uramerikanischen Prinzip des Gemeinsinns verabschiedet.

Die immer wieder aufgewirbelten Zweifel an Obamas Staatsbürgerschaft etwa haben natürlich mit der Hautfarbe dieses Präsidenten zu tun. Sie entspringen kulturellen Ressentiments und rassistischen Motiven. Als sei Obama ein Betriebsunfall und ein Usurpator der Macht.

Seine politische Botschaft hat Präsidentschaftsbewerber Romney auf die Ankündigung reduziert, an die Steuerpolitik von George W. Bush anknüpfen zu wollen – zugunsten der Betuchten, auf Kosten der Mittelschicht und der Armen. Die Befähigung, eine Nation zu führen, kann sich der Ex-Gouverneur von Massachusetts damit nicht erwerben, sollte man meinen. Seinem Charakter nach ist Romney Geschäftsmann geblieben, der die Profitgier jener zu mehren verspricht, die den lästigen Staat verachten. Mit seiner Parteinahme für die Superreichen bleibt der blasse Gegenspieler angreifbar. Obamas Gerechtigkeitssinn hingegen wird als Marsch in den Sozialismus diffamiert.

An der Wahlurne haben die Amerikaner eine echte Alternative. Doch die Wähler stimmen in aller Regel nicht für, sondern gegen einen Bewerber um das höchste Staatsamt.