Braunschweig. Richard Kiessler, außenpolitischer Korrespondent unserer Zeitung, schreibt in seiner Kolumne über die Außenpolitik Deutschlands.

Für den sonst so besonnenen Verteidigungsminister ist die Sache klar: „Dass Deutschland eine Führungsmacht in Europa und in der Nato ist“, sagt Thomas de Maizière, „weiß jeder.“ Wirklich? Dass die Bundesrepublik, das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land Europas, inmitten der Krise des alten Kontinents zum Hegemon geworden sein soll, haben am wenigsten die Deutschen selbst begriffen. Sie haben sich diese Rolle nicht gewünscht. Und sie füllen sie auch nicht aus – womöglich „aus Angst vor der eigenen Stärke“, wie de Maizière vermutet.

Dass Deutschland mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges als europäische Schlüsselmacht auftritt, ist für seine Partner und Nachbarn eine Selbstverständlichkeit. Seit Polens Außenminister Radoslav Sikorski Deutschland als „unentbehrliche Nation“ definierte, deren „Tatenlosigkeit mehr Furcht auslöst als ihre Macht“, wird den Regierenden in Berlin unterstellt, sich aus der den Deutschen zugewachsenen Verantwortung wegzustehlen.

In der Euro-Krise ist Merkel in die Defensive geraten. Ihre zur Schau getragene Disziplin und Sparsamkeit werden Angela Merkel als Arroganz ausgelegt und als selbstgefälliges Ansinnen, ein deutsches Europa schaffen zu wollen. Dieser Wandel im europäischen und internationalen Kräfteverhältnis erhöht den Druck, die eigenen Interessen offen zu definieren und mehr außenpolitisches Profil zu entwickeln, als den Deutschen lieb ist. Sie scheinen in ihrer Rolle als Status-quo-Macht aufgehen zu wollen, die Früchte des ökonomischen Erfolgs zu genießen, Sicherheit in Anspruch zu nehmen, sie anderen aber nur zögerlich zu geben.

Der Mangel an Gestaltungswillen, konzeptionellen Ideen und strategischer Intelligenz gefährdet vor allem Deutschlands Partnerfähigkeit im westlichen Bündnis. Spätestens nach dem verkorksten Libyen-Einsatz, bei dem Merkel und ihr Außenminister aus fadenscheinigen Motiven kniffen, wachsen die Zweifel der Nato-Partner an der Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Deutschen. „Deutschlands Schwäche“, heißt es in einem Report des Atlantic Council in Washington, „ist das wichtigste Problem der Nato.“

Über Jahrzehnte paarte sich die Kultur der Zurückhaltung bei militärischen Einsätzen mit der Scham des Tätervolks. Der deutschen Öffentlichkeit aber fehlt das Verständnis für die sicherheitspolitischen Herausforderungen in einer gefährlichen und immer mehr verflochtenen Welt.