Braunschweig. Richard Kiessler, außenpolitischer Korrespondent unserer Zeitung, schreibt in seiner Kolumne über die verfahrene Situation in Syrien.

Die tägliche Gewalt in Syrien hat das gesamte Land erfasst. Zu Dutzenden fallen Menschen den Sprengstoffanschlägen der staatlichen Sicherheitskräfte oder Selbstmordattentätern zum Opfer, eine Mörsergranate zerstörte mitten in Damaskus die Fassade der Zentralbank. Die vor drei Wochen vermittelte Waffenruhe könnte brüchiger nicht sein, weil das Regime Baschar el-Assads sich nicht an den Sechs-Punkte-Plan der UNO hält, solange die Mörser-Geschütze und Maschinengewehre in den Wohnvierteln von Homs, Aleppo oder Idlib nicht verstummen.

Noch sind erst wenige der 300 ausgehandelten UNO-Beobachter in Syrien eingetroffen. „Kommen die auf Pferden?“, lässt sich ein ungeduldiger Bürger aus Homs zitieren, das unter den schweren Waffen und Bombardements der syrischen Armee besonders gelitten hat. Generalmajor Robert Mood, ein altgedienter Nahost-Friedenswächter, der die unbewaffneten Blauhelme befehligt, weiß um die spärlichen Erfolgsaussichten dieser Mission: „Weder 30, 300 oder 1000 Militärbeobachter können Syriens Probleme lösen,“ weiß der 54-jährige Norweger, „solange es keinen Willen aller für eine friedliche Lösung gibt.“

Ergibt sich das Volk?

Weil das so ist, weil weder das Regime noch die Opposition zum Frieden bereit sind, dauert der Bürgerkrieg an. „Wird Syrien das Land, in dem sich das Volk ergibt statt des Diktators?“, fragte dieser Tage die ZEIT. Es kann durchaus so kommen. Denn Syrien ist anders als etwa Ägypten und Libyen. Deren Despoten wurden von den eigenen Stützen ihres Regimes im Stich gelassen. Assad hingegen kann sich noch immer auf eine beträchtliche Anhängerschaft stützen, die nicht an einer inneren Veränderung interessiert ist und den Aufbau einer Zivilgesellschaft verhindert.

Zwar repräsentieren Assad und seine Alawiten nur zehn Prozent der 23 Millionen Syrer. Aber zu 70 Prozent bilden das alawitische Offizier-Corps und die Geheimdienst-Kader eine stabile Basis. Zudem stützen die Minderheiten der Christen, Drusen und Ismailiten aus Furcht vor einer Mehrheitsherrschaft der Sunniten den Assad-Clan.

Opposition lehnt Gewalt ab

Die innere Opposition in Syrien setzt auf Verhandlungen mit dem Regime, lehnt eine Gewaltlösung oder eine ausländische Einmischung ab und hofft auf einen evolutionären Prozess. Der soll – im Unterschied zu den manipulierten Parlamentswahlen dieser Woche – eine wirklich demokratische Entwicklung in Syrien beflügeln.

Die Auslands-Opposition, vor allem im „Syrischen Nationalrat“ versammelt, wird von Anhängern der Moslem-Bruderschaft geprägt. Sie lehnt Verhandlungen mit dem Regime ab – auch den Friedensplan des früheren UNO-Generalsekretärs Kofi Annan. Gemeinsam mit Kräften im Westen setzt sie auf einen „Plan B“ – auf einen humanitären Korridor an der Grenze zur Türkei und womöglich Waffengewalt.

„Düster“ nennt UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon die Lage. In der Oper von Damaskus steht derzeit Macbeth auf dem Spielplan. In Shakespeares Drama geht es um einen König, der mordet, um an der Macht zu bleiben.