Braunschweig. Richard Kiessler schreibt in seiner Kolumne „Kiesslers Welt“ über den Welthunger – und wie dieser blutige Konflikte fördert.

So recht vertrauen mag man dem Befund nicht, dass die extreme Armut auf dem Rückzug ist. In den letzten 30 Jahren, teilt uns die Weltbank mit, sei die Zahl jener Menschen in den Entwicklungsländern gesunken, die am Tag mit weniger als 1,25 Dollar auskommen müssen. Während 1981 noch 52 Prozent der Weltbevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze lebten, seien es 2008 nur noch 22 Prozent gewesen. Die Weltbanker wagen gar die These, dass damit das zur Jahrtausendwende verabredete Ziel der Uno erreicht sei, den Anteil der in absoluter Armut lebenden Erdbewohner bis 2015 im Vergleich zu 1990 um die Hälfte zu verringern.

Statistische Armutsgrenze liegt bei zwei Dollar am Tag

Immerhin warnt die Weltbank vor ausgreifendem Optimismus. Und das ist auch angebracht. Denn der Abbau geht erheblich langsamer voran, wenn man als statistische Armutsgrenze zwei Dollar am Tag ansetzt. Beim derzeitigen Tempo der Armutsverringerung werden überdies 2015 noch immer eine Milliarde Menschen in extremer Armut verharren. Zudem verschweigt die Weltbank, dass die Fortschritte vornehmlich auf die rasante Entwicklung in China zurückzuführen sind. Rechnet man das Reich der Mitte heraus, ist die Zahl der absolut Armen sogar leicht gestiegen.

Kein Anlass zur Entwarnung also. Vor allem nicht in Afrika südlich der Sahara. Dort geht der lebensbedrohliche Hunger eine mörderische Verbindung mit blutigen Revolten und gewaltsamen Konflikten ein. Die Hungerkatastrophe in Somalia etwa, diesem längst zerfallenen Staatsgebilde, fällt mit einem seit Jahren lodernden Bürgerkrieg zusammen. Hunger und Unterernährung wirken nicht nur am Horn von Afrika als Brandbeschleuniger: Auf dem Failed State Index, der Liste gescheiterter Staaten, werden die ersten 30 Plätze von Ländern besetzt, zumeist afrikanischen, in denen die Menschen unter besonders prekären Ernährungsverhältnissen leben.

Teufelskreis aus Anarchie und nackter Existenznot

Der Weg in Chaos und Gewalt lässt sich selbst im ölreichen Nigeria aufzeigen: Dort stiegen zur Jahreswende die Preise für Bananen, Wassermelonen, Reis und Benzin um bis zu 50 Prozent. In einer Kettenreaktion kletterten auch die anderen Preise und trieben die Menschen zu Protesten auf die Straßen aller größeren Städte. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, Schüsse fielen, Menschen starben. Hungerlöhne und steigende Preise allein lösen bei jenen, die sich jeden Tag ums Überleben sorgen müssen, noch keine Gewaltexzesse aus. Sie empören sich erst, wenn ihre vertrauten Bewältigungsstrategien und Regeln aus dem Lot geraten, wenn religiöse Eiferer, eine brutale Soldateska oder ebenso korrupte wie skrupellose Politiker das ohnedies brüchige soziale Gefüge kollabieren lassen.

Ebendies geschieht seit Jahren in Afrika. Millionen Flüchtlinge suchen dem Teufelskreis aus Anarchie und nackter Existenznot zu entkommen. Sie werden zu verzweifelten Marginalisierten, ohne jede Hoffnung auf Entwicklung und Bildung. Dass die Alarmrufe des Welternährungsprogramms der Uno immer lauter werden, scheinen die Weltbank-Statistiker überhört zu haben.