Der Liedermacher Hannes Wader spricht über seine frühere DKP-Mitgliedschaft, Friedenskonzerte mit Harry Belafonte und Volkslieder

“Heute hier, morgen dort“ – als Liedermacher startete Hannes Wader in den 60ern seine Karriere. Mit Reinhard Mey tingelte er durch die neuen Folk-Clubs, engagierte sich bald für die Friedensbewegung. Musikalisch versöhnte er die Deutschen mit ihrem Volksliedgut, arbeitete die demokratische Tradition darin herraus. Am 1. März gastiert er im Braunschweiger Audimax. Unsere Leser trafen den nachdenklichen 65-Jährigen in Hamburg.

Sven Brandes: Wie fühlt sich ein Hannes Wader in der heutigen Zeit? Wie steht ein Exponent der Widerstands-Generation zur Hinnehmer-Gesellschaft?

Ich kriege immer mal wieder einen Schreck, wie sich das verändert hat. Ich bin nun auch nicht mehr direkt politisch aktiv. Früher war ich ja in der DKP. Anfang der 90er bin ich da dann ausgestiegen, gar nicht mal, weil ich grundsätzlich nicht mehr einverstanden war. Aber ich wollte nicht mehr einer Partei zur Verfügung stehen. Ich bin jetzt auch kein Bolschewik mehr, aber immer noch Sozialist von ganzem Herzen.

Das Hinnehmen verstehe ich nicht, aber das muss ich eben hinnehmen. Ich versuche noch immer, meinen Unwillen zu äußern, zu protestieren, aber nicht mehr als Anführer einer Bewegung. Da hat mich vielleicht selbst etwas von dieser Lähmung ergriffen – es ist immer noch ein Trotz-alledem.

Andreas Sichau: Aber die Partei der Linken ist ja immerhin erfolgreich.

Ich wähle auch die Linke, aber ich engagiere mich nicht mehr für eine Partei, also auch nicht für die. Ich vermisse die große Bewegung, die es zur Zeit der Friedensbewegung gab. Da stand ich mit Harry Belafonte in Bonn vor 500 000 Leuten auf der Bühne. Mein 29-jähriger Sohn ist bei den Protesten gegen den G8- Gipfel in Heiligendamm verhaftet worden, jetzt laufen die Prozesse an. Davon spricht keiner mehr, aber die Jungs müssen bluten. Ich trete jetzt auf, damit sie ihre Anwälte bezahlen können. Das sind nicht mehr die spektakulären Konzerte, aber sie sind nicht minder notwendig.

Wolfgang Hartwig: Du bist jetzt 65. Wie viel Spaß macht dir das Touren noch?

Es macht mir Freude. Aber ich musste diese Freude erst wieder trainieren. Schon kurz vor der Wende ergriff mich eine tiefe Depression, eine Unlust am Singen. Vielleicht habe ich da als Künstler schon etwas gespürt von den Umbrüchen, die kommen würden. Die Zuschauer merkten meine Lustlosigkeit, viele blieben weg, die anderen habe ich beschimpft. Ich mochte mich nicht mehr leiden, und da mochten mich auch die Leute nicht mehr. Ich musste meine Band auflösen, wieder allein mit der Gitarre in kleinen Sälen auftreten. Dazu kam die politische Desillusionierung nach der Wende.

Brandes: Jetzt kommt das Publikum wieder. Auch die Jüngeren?

Ja, das überrascht mich oft selbst. Die Jugend hat da wenig Berührungsängste. Ich weiß das auch von meinem Sohn, der in einer Punkband gespielt hat. Die haben auch Stücke von mir übernommen, aber natürlich anders arrangiert.

Sichau: Haben sich deine Lieder verändert nach den politischen Veränderungen und deiner persönlichen Krise?

Ich bin jetzt sicher etwas abgeklärter und milder. Ich war eigentlich zeit meines Lebens eher aggressiv, schnell kurz vorm Explodieren. Jetzt sehe ich manches gelassener. Weltanschaulich habe ich mich nicht viel gewandelt. Allerdings habe ich auch keine Aussicht mehr, dass sich diese Anschauungen verwirklichen werden, jedenfalls nicht mehr in meinem Leben. Früher habe ich das geglaubt: dass ich bestimmte Dinge noch erleben würde und dazu beitrage.

Hartwig: Aber die heute oft so beschimpften 68er haben doch auch manches verändert, etwa die Emanzipation der Frau, das Umweltbewusstsein.

Das stimmt natürlich auch. Man stellt die 68er heute gern als nutz- und wirkungslos dar, oder man gibt ihnen die Schuld an Entwicklungen wie im Irak oder in Afghanistan. Das sagen gern die, die früher selbst 68er waren.

Hartwig: Dein Verdienst ist es, uns das traditionelle Liedgut wieder erschlossen zu haben: Arbeiterlieder, Volkslieder, Shantys. Gleichzeitig hast du selbst Lieder geschrieben wie das bekannte "Heute hier, morgen dort". Was interessiert dich heute mehr?

Ich versuche, eine Balance zu finden. Ich bin nämlich besonders langsam im Selberschreiben. Die Leute fordern mich immer als Liedermacher, wollen meinen eigenen Ton, aber ich habe gar nicht so viele Lieder. Immerhin habe ich jetzt ein Repertoire von mehreren hundert Songs, auf die kann ich zurückgreifen. Aber was Neues muss auch immer dabei sein, sonst sind die Zuschauer sauer. Außerdem schätze ich die Lieder von anderen sehr hoch und liebe es, sie zu singen. Ich brauche diese Abwechslung. Ich hatte aber immer schon das Problem, dass die Leute sagten, mir falle nichts mehr ein, wenn ich ein Volkslied sang. Dabei singe ich die einfach so gern.

Brandes: Wie entsteht ein Lied von dir?

Erst kommt der Text. Aber da summt immer schon eine Melodie mit. Ich habe die Gitarre gleich daneben stehen und probiere aus, wie die Worte klingen. Für jedes Stück lerne ich die Gitarre neu, lasse mir auch technisch einen besonderen Kniff einfallen. Das kann Monate dauern. Selbst wenn die Melodie schnell da ist, werkele ich noch lange an der Interpretation, suche nach Betonungen in Takt und Tempo.

Sichau: Wie kam es zur Entdeckung der Volks- und Arbeiterleider?

Ich komme aus einer musikalischen Familie, die fest in der sozialdemokratischen Kulturtradition stand. Die Sozialdemokraten hatten eigene Gesangvereine, Mandolinenvereine, Theatergruppen und Sportvereine. Mein Vater hatte in den 20ern einen Mandolinenverein mitgegründet. Da war die ganze Familie drin, und so habe ich Mandoline und auch Gitarre gelernt. Die Tanten waren im Gesangverein, so wurde bei uns zu Hause viel gesungen. Auch noch in der Schule. Heute wird ja Musikunterricht in der Schule wie Schrott behandelt. Es geht nur noch um Naturwissenschaften. Als Junge musste man zwar damals den Musikunterricht durch Falschsingen sabotieren, sonst galt man nichts. Aber an die 100 Lieder sind doch hängen geblieben. Heute erkenne ich diesen Wert.

Hartwig: Nun waren ja viele Volkslieder von den Nazis missbraucht.

Volkslieder waren desavouiert. Wenn die SS-Leute vor der Ermordung der Juden das schöne alte Heide-Lied mit dem Satz vom "Kornschneiden mit blankem Schwert" sangen, konnten wir das nicht mehr tun. Es ist schwer, den Liedern ihre Unschuld wiederzugeben. Man musste Lieder mit demokratischer Tradition suchen. In der DDR gab es dazu eine intensive Forschung.

Manchmal habe ich auch zu Tricks gegriffen. Ich wollte zum Beispiel unheimlich gern "Auf einem Baum ein Kuckuck" singen, aber in einer Zeit, wo alles politisch sein musste, hätte man mich für solchen Stuss ja von der Bühne gejagt.

Da habe ich erklärt, der Kuckuck sei das schlitzohrige Volk, die Jäger die herrschende Gewalt. Und wenn nach einem Jahr der Kuckuck wieder da ist, dann zeige das die vitale Kraft des Volkes.

Hartwig: Wie kamen die Volkslieder in deiner Anfangszeit an?

Ich bekam manche Prügel von den Linksintellektuellen. Meine Arbeiterlieder seien protofaschistisch. Da musste ich erstmal die Geschichte erklären. Man musste damals überhaupt alles rechtfertigen. Allein schon dass man sang. Eigentlich sollte man die Klampfe in die Ecke stellen und die Kalaschnikoff schultern.

Sichau: Bist du auch in der DDR aufgetreten?

Ja, klar, als DKP-Mitglied war ich da sogar ’ne Nummer. Ich war der Liebling von Egon Krenz und Familie, die kommen sogar heute noch zu meinen Konzerten im Osten. Wie verschieden meine Lieder wirken können, wurde mir bei einem Auftritt in damals Karl-Marx-Stadt bewusst. Ich sang den "Rattenfänger". "Wo die Herrschenden Ruhe wollen, geht es den Beherrschten schlecht", heißt eine Zeile. Da sprangen die Leute hinten auf und jubelten. Und dann erhoben sich auch die Funktionäre vorn und klatschten sehr offiziell. Die Menschen hatten geglaubt, ich kritisiere die Bonzen, aber ich wollte die gar nicht angreifen. Erst später habe ich vom real existierenden Sozialismus Abstand genommen.

Brandes: Gab es da trotz der Ausbürgerung Biermanns keine Zweifel?

Ich bin sogar gerade in die DKP eingetreten, als Biermann ausgebürgert wurde. Ich bekam waggonweise zerbrochene Schallplatten enttäuschter Fans. Und in Rundfunk und Fernsehen wurde ich boykottiert.