Die ARD-Korrespondentin Bettina Marx im Interview zum politischen Minenfeld Palästina und die Hoffnung auf Frieden

Würde man die zahlreichen Friedenspläne für den Nahen Osten alphabetisch anordnen, entstünde eine Enzyklopädie von A wie Annapolis, C wie Camp David bis T wie Taba. Als "Land ohne Hoffnung" beschrieb die Autorin und Journalistin Bettina Marx Gaza in ihrem gleichnamigen Buch. Am Mittwochabend sprach sie als Gast des Deutsch-Palästinensischen Vereins Braunschweig in der TU Braunschweig. Davor sprach Redakteur Andre Dolle mit ihr.

Zwischen Gaza und Tel Aviv liegen lediglich 60 Kilometer. Wie unterschiedlich haben Sie dennoch beide Städte erlebt?

Es ist, als ob die Städte auf verschiedenen Kontinenten lägen, sie ein Weltmeer trennt. Tel Aviv ist voller Lebensfreude, voller Reichtum. Die Stadt steht für Kunst, Kultur, Partys. Gaza hingegen ist eine sehr ärmliche Stadt, ein Flüchtlingslager mit unterernährten Menschen. Hier prallen die 1. und die 4. Welt aufeinander.

Der Nahe Osten gilt als Inbegriff für eine Konfliktregion. An Friedensplänen mangelte es nicht. Welchen Kardinalfehler haben Diplomaten begangen?

Der größte Fehler der letzten Jahre war die Nichtanerkennung der Hamas und die Entscheidung des Westens, mit der Hamas nicht zu sprechen, ihr Bedingungen zu stellen, bevor man überhaupt Kontakt aufnimmt. Das war unerhört, damit hat sich der Westen einen Bärendienst erwiesen.

Ich habe 2006 bei den Wahlen in den Palästinensischen Gebieten vom Wahlsieg der Hamas berichtet. Die Wahlen damals waren freier, gerechter und fairer als die Wahlen in den Vereinigten Staaten. Das Wahlergebnis wurde überprüft von Wahlbeobachtern aus der ganzen Welt. Alle haben gesagt, es ging mit rechten Dingen zu. Man kann über das Wahlsystem streiten, das Mehrheitswahlrecht, das Hamas zu Ungunsten der gemäßigteren Fatah begünstigt hat. Das Wahlsystem haben aber nicht die Palästinenser erfunden. Man hätte Hamas die Chance geben müssen, zu regieren, man hätte ihr auch die Chance geben müssen, zu scheitern. Das war eine ganz unglückliche Botschaft des Westens, die hier den Palästinensern vermittelt wurde.

Nach 16 Monaten Funkstille starteten im Mai unter US-Vermittlung indirekte Friedensgespräche. Welche Hoffnungen setzen Sie in diese?

Überhaupt keine. Indirekte Gespräche halte ich für unsinnig, es müsste direkte Gespräche geben. Die Israelis haben gleich nach Beginn der Gespräche angekündigt, dass sie in Ost-Jerusalem weiter Häuser von Palästinensern zerstören werden, die dort angeblich illegal gebaut wurden. Damit haben sie gezeigt, dass sie kein Interesse daran haben, dass diese Gespräche Erfolg haben.

Immerhin kommen bei den Gesprächen Kernfragen des Konflikts wie die jüdischen Siedlerheime, der Anspruch auf Jerusalem, der Grenzverlauf und die palästinensischen Flüchtlinge auf den Tisch.

Ja, aber wenn es keine Bewegung bei diesen Themen gibt, kann das nicht funktionieren. Der Vertreter der Palästinenser sitzt in Ramallah, sagt dem US-Gesandten etwas, der rennt nach Jerusalem und sagt es dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu. Der geht zur Presse und sagt: Ich werde nie im Leben das geeinigte Jerusalem aufgeben. Das kann zu nichts führen.

US-Präsident Obama hat kurz nach seinem Amtsantritt gesagt, dass er den Frieden für greifbar hält. Welche Rolle spielt er?

Er ist der Dreh- und Angelpunkt. Ich war zu Beginn voller Hoffnung, als er den Stopp des israelischen Siedlungsbaus forderte. Dann ist er wieder zurückgewichen. Im Moment packt er es nicht geschickt an. Obama achtet in den USA zu sehr auf die israelische Lobby. Ich glaube nicht, dass das seine Wähler sind.

Im Internet kommentieren israelfreundliche Blogger Ihre Berichterstattung als Korrespondentin sehr kritisch. Die Berichterstattung muss ein schmaler Grad sein, gerade als deutsche Journalistin.

Ich bin eine Journalistin, keine Aktivistin. Ich bin der Wahrheit verpflichtet. Wahrheit ist ein großes Wort, sie ist immer auch subjektiv, das ist klar. Aber es gibt einfach Dinge, vor denen kann man die Augen nicht verschließen, wenn man aus Israel berichtet.

Meine Aufgabe war es, aus Israel und den Palästinensischen Gebieten zu berichten. Das ist das Berichtsgebiet der ARD in Tel Aviv. Von daher kann ich nicht nur über das neueste Jazzfestival in Tel Aviv berichten oder die Kunstausstellung in Jerusalem, sondern ich muss über das berichten, was nun mal die Problematik ist. Dazu muss man sich in die entsprechenden Gebiete begeben. Was man dort sieht, davor darf man nicht die Augen verschließen.

Ich stehe auf der Seite der Palästinenser und der Israelis. Ich hoffe, dass Israel eine Zukunftschance hat, aber nicht als ein an die Zähne bewaffnetes Sparta, das die Palästinenser unterdrückt und weiterlebt. Ich habe viele Jahre in Israel gewohnt, habe dort viele Freunde. Die hätten auch lieber ein friedvolles Leben, in dem ihre Kinder nicht zum Militär müssen. Die wollen nicht als Parias durch die Welt reisen. Ein solcher Staat ist nur möglich, wenn die Israelis bereit sind, auf gleicher Augenhöhe mit den Palästinensern zu verhandeln.

Vorwürfe der Jüdischen Gemeinde in Berlin an der Berichterstattung deutscher Medien beispielsweise sind lächerlich und unbegründet. Denn Israel und seine Position haben in den deutschen Medien immer eine deutliche Schlagseite.

Wird es jemals eine Zweistaatenlösung in Palästina geben?

Nein, der Zug ist abgefahren. Die Israelis sind nicht interessiert und bereit, die Siedlungen zu räumen. Ohne diese Räumung ist eine gerechte Zweistaatenlösung nicht möglich. Ich glaube aber auch, dass eine Einstaatenlösung nicht denkbar ist. Leider wird es keine Lösung für diesen Konflikt geben, sondern ein Immer-weiter-so.