Das Europäische Parlament steht vor einem Rätsel. Vor gut drei Wochen war am helllichten Tag ein Bankräuber in das Paul-Henri-Spaak-Gebäude spaziert, um die im Erdgeschoss befindliche ING-Bank um 50 000 Euro zu erleichtern. Während ein Stockwerk höher Michael Gorbatschow und Albert II. von Monaco mit anderen Experten bei einer Wasserkonferenz tagten, fuchtelte der maskierte Täter in der Filiale mit einer Waffe herum, stopfte das Geld in eine Tasche und machte sich von dannen. Bis heute fehlt jede Spur, Gerüchte gibt es dafür reichlich.

Der Täter kann nur ein verzweifelter Abgeordneter oder EU-Angestellter gewesen sein, meldete der Flurfunk schon wenige Tage nach dem Vorfall. Schließlich dürften nur Mitarbeiter des Hohen Hauses das Gebäude ohne Kontrolle betreten. Einige wollen sogar einen Haufen Geldscheine im Büro eines Volksvertreters gesehen haben; so mancher Sherlock Holmes ist in diesen Tagen im Gebäude unterwegs, um den Fall auf eigene Faust zu lösen. Erhärtet hat sich bislang kein einziger Verdacht.

"Der Vorfall wirft Fragen auf", sagt ein Sprecher der betroffenen Bank. Auch die Angestellten der Postfiliale, des Frisör-Salons und der Buchhandlung im Gebäude machen sich ernsthaft Sorgen. Wenn Raubüberfälle ein Kinderspiel sind, was ist dann mit Terror-Anschlägen?

Noch immer sucht die Polizei fieberhaft nach dem Räuber. Sie wertet Überwachungs-Kameras aus und untersucht DNA-Spuren auf Gegenständen, die der Täter auf der Flucht zurückgelassen haben könnte. Auch Sicherheitsbeamte im Parlament lässt der Vorfall nicht los, sie halten eine Krisensitzung nach der anderen ab. Der Täter müsse einen gefälschten Ausweis und eine Waffen-Attrappe gehabt haben, heißt es. Sonst wäre er nicht so leicht ins Gebäude gekommen.

Tatsache ist: Theorie und Praxis klaffen auch bei den Kontrollen weit auseinander. Besucher dürfen zwar nur mit einem Tages-Ausweis ins Gebäude, sie müssen wie am Flughafen durch eine Sicherheitsschleuse gehen, auch Taschen und Gepäck werden normalerweise durchleuchtet. Doch gerne drücken Mitarbeiter ein Auge zu, wenn sie Gästen lästige Leibesvisiten ersparen wollen.

Vor einigen Tagen marschierte eine Praktikantin mit großem Rucksack unbehelligt durch die Kontrollen. Es reichte ein Lächeln und ein freundlich hingehauchtes "Bonjour", erzählte sie später stolz. In diesem Fall hatten die Kontrolleure allerdings den richtigen Riecher: In ihrer Tasche befand sich keine Waffe, sondern nur ein Paket mit alten Käsebroten.