Ein Abend mit Shimon Stein (58), Israels Botschafter in Berlin. Seine Eltern haben den Völkermord an den Juden überlebt, für den er das hebräische Wort für Zerstörung wählt: Shoah.

Stellen wir uns vor: Italien bastelt an einer Atombombe, mit der es München und Hannover bedroht, zudem schmuggelt es Waffen und Raketen zu Terroristen in Österreich, die immer wieder die Menschen im Allgäu in Angst und Schrecken versetzen.

Überhaupt ist Deutschland nur von Feinden umgeben, die am liebsten unsere Heimat von der Landkarte radieren würden. Um die Bevölkerung zu demoralisieren, explodieren immer wieder Bomben in Bussen und Supermärkten.

Wer diesen Albtraum für Unsinn hält, sei erinnert: Es dürfte mehr Länder in dieser Welt geben, in denen der Ausnahmezustand das Normale ist, als Länder mit innerem Frieden und Nachbarn als Freunden. Europa ist so eine Insel des Friedens – im Gegensatz zu Israel.

Die negative Haltung der meisten Deutschen zu dem kleinen Staat am Mittelmeer entspringt selten dem Antisemitismus, vielmehr der Unfähigkeit und dem Unwillen, sich solche Bedrohung als normalen Alltag vorzustellen. Uns Deutschen fehlt, Gott sei dank, eine Leidenschaft, die Hannah Arendt "Überlebensleidenschaft" nannte. So schrieb die in Hannover geborene jüdische Philosophin einer amerikanische Freundin.

Aber kann Israel nicht einfach mit seinen Nachbarn Frieden schließen, ihnen ihr Land zurückgeben und freundlich sein? Wir kennen diesen Einwand, hören ihn oft in unserer Gesellschaft, die den Dialog und den Konsens schätzt. Diese Frage an Israel, die eigentlich schon die Antwort ist, schmückt sich gerne mit dem schlechten deutschen Gewissen: Man wird Israel ja noch kritisieren dürfen!

Shimon Stein scheint ein wenig müde geworden zu sein, auf diese Frage zu antworten. Wenn er durch Deutschland reist, tut er nichts anderes. Selbst wenn einer barsch redet, dafür spontan Beifall bekommt, bleibt der Botschafter geduldig und wiederholt, was er schon gesagt hat und immer wieder sagt:

Israel habe alles versucht, habe die Hand ausgestreckt, die besetzten Gebiete geräumt, eigene Siedlungen abgerissen, mit den Gemäßigten unter den Nachbarn Gespräche gesucht, habe Abschied von Träumen genommen, das Alles oder Nichts in die Ecke gestellt – und die Zwei-Staaten- Lösung akzeptiert, wie sie die Europäer wünschen.

Wenig habe es genutzt. Stein: "In dieser Region wird Schwäche nie belohnt."

Israel habe es mit dem radikalen Islam zu tun: Keine politische Lösung, Islamisierung Palästinas und Einführung der Scharia, Unterwerfung der prowestlichen Staaten in Arabien, Auslöschung Israels.

Shimon Stein zitiert aus einem Gedicht des arabischen Dichters Wajeha al-Huwalder:

Wenn Du Leute siehst, die in der Vergangenheit leben – mit allen Annehmlichkeiten der Moderne – sei nicht überrascht, Du bist in einem arabischen Land.

Wenn die Religion die Kontrolle über die Wissenschaft hat, kannst Du sicher sein, Du bist in einem arabischen Land.

Wenn Du siehst, dass die Mehrheit der Leute Frieden ablehnt und Freude in der Sklaverei findet, sei nicht zu erschüttert, Du bist in einem arabischen Land.

Wenn Du herausfindest, dass eine Frau die Hälfte oder weniger wert ist als ein Mann, sei nicht überrascht, Du bist in einem arabischen Land.

Was läuft falsch in den islamischen Ländern?, fragt Stein. Und warum haben sich die arabischen Hochkulturen, die Europa weit überlegen waren, seit einem halben Jahrtausend nicht mehr entwickelt?

Der Konflikt zwischen Israel und Palästina sei nicht der Grund, sondern die Weigerung, sich mit der Moderne und Globalisierung wirklich auseinander zu setzen – wie es Europa getan hat in der Renaissance, in der Reformation, in der industriellen Revolution.

Drei von vier Deutschen denken, laut einer Umfrage in 27 Ländern, negativ über Israel; die Quote ist nur in Ägypten und den arabischen Emiraten noch schlechter.

Ob ein Abend mit Shimon Stein die Menschen überzeugen kann?

Nachdenklich müsste man sich schon von dem Mann mit dem grauen Bart verabschieden. Und man müsste sich fragen: Ob Deutschland so ruhig bliebe, wenn in Braunschweig die Bomben hochgingen statt in Jerusalem? Ob wir unsere Demokratie so bewahren würden wie der Vielvölkerstaat Israel, wenn der Terror zum Alltag gehörte?