Sigmund Jähn über den Flug um die Erde, Chinesen im All, wabernde Polarlichter und Verschwörungstheorien

Hans Zimmermann: Es ist bereits ein Kleinplanet nach Ihnen benannt worden. Sind Sie stolz darauf?

Ich wusste nicht so richtig, was ich sagen sollte, als sie mir den sozusagen mit einer Urkunde aufs Tablett gelegt haben. Natürlich habe ich mich gefreut. Man bekommt ja nicht alle Tage einen Planeten geschenkt. Aber der Planet weiß doch nichts davon.

Peter Volkmer: Aber Sie haben ihn sich schon einmal durch ein Fernrohr angesehen?

Ehrlich gesagt, nein.

Clemens Rumpf: Hatten Sie schon in ihrer Jugend den Wunsch, in den Weltraum zu fliegen?

Als 20-Jähriger war ich Flugschüler bei der Nationalen Volksarmee der DDR. Ich wollte Flugzeugführer werden. Den Gedanken, selbst ins All zu fliegen, hatte ich nie. Das hat sich so ergeben.

Von 1966 bis 1970 war ich zum Studium an der sowjetischen Militärakademie der Luftstreitkräfte. 1976 hat die Sowjetunion dann Kosmonauten für einen Flug zur Raumstation Saljut-6 gesucht. Die Bewerber sollten aus den sozialistischen Ländern kommen, Flugzeugführer sein und russisch sprechen. Damit war der Kreis in der DDR nicht mehr allzu groß.

Ich wurde gefragt und bekam zwei Tage Bedenkzeit. Aber ich habe sofort gesagt: "Ich brauche keine Bedenkzeit. Ich mache natürlich mit." Zuerst gab es einen Lehrgang mit 20 Kandidaten, dann wurde nochmal gesiebt, vier Mann kamen in die letzte Runde, und am Ende blieb ich übrig.

Hans Zimmermann: Wie hätten Sie damals auf die Frage geantwortet: Herr Jähn, wollen Sie zum Mars fliegen – der Flug dauert zwei Jahre?

Ich hätte ohne Zweifel zugesagt. Wenn schon, denn schon.

Peter Volkmer: Als Flugzeugführer mussten Sie schon starke Nerven haben. Gab es während des Raumfluges trotzdem Situationen, in denen Ihnen mulmig war?

Natürlich ist das aufregend. Man muss sich eben ein paar Polster unterlegen. Dass ich Angst hatte, kann ich nicht sagen. Mir ging der Puls am meisten hoch, als ich wusste: Jetzt sind die Kameras eingeschaltet, jetzt beginnt der Kontakt mit der Außenwelt. Das lag mir nicht so sehr. Vieles war ja auch politischer Natur. Manchmal wurde vorgeschrieben, was man erzählen sollte. Dabei war ich immer aufgeregter als bei Sachen, die ich gelernt hatte.

Clemens Rumpf: Und wie war Ihnen zumute, als Sie aus dem Weltall auf die Erde geblickt haben?

Wenn man das sieht, kann man schon ins Philosophieren kommen. Wir sind technisch so weit, wir bauen Raumstationen und fliegen mit 28 000 Kilometern pro Stunde um die Erde. Und dann guckt man runter und weiß: Dort schlagen sie sich die Köpfe ein. Das ist Steinzeit-Niveau.

Clemens Rumpf: Welches Erlebnis hat Sie während Ihres Raumfluges am meisten bewegt?

Aus menschlicher Sicht war ich euphorisch, als wir an die Raumstation angekoppelt sind. Zwei russische Kosmonauten waren dort schon mehr als 70 Tage. Natürlich kannten wir die beiden. Sie hatten sich auf unsere Ankunft vorbereitet. Normalerweise servieren die Russen bei solchen Gelegenheiten Salz und Brot. Aber Salz ging ja nicht, weil es herumgeschwebt wäre. Stattdessen haben sie aber ein kleines Stück Zucker auf die Brotstückchen gebunden.

Beeindruckend waren auch die Polarlichter. Diese Erscheinungen spielen sich in etwa 80 Kilometern Höhe ab. Man schaut da von oben drauf und sieht diese wabernden, grünen, nebelhaften Wände. Eine neben der anderen. Das ist richtig gespenstisch. Und plötzlich kommt die Sonne, und es sieht aus, als ob sie die Polarlichter auffrisst. Die Polarlichter sind natürlich noch da, aber sie sind im Sonnenlicht nicht mehr sichtbar.

Hans Zimmermann: Bei Ihrem Flug um die Erde ist aller 90 Minuten die Sonne aufgegangen. An welcher Zeit haben Sie sich dabei orientiert?

Wir sind nach Moskauer Zeit geflogen. Die Tage bleiben ja die gleichen. Einen Umlauf absolviert man in 90 Minuten nach Osten fliegend. Das macht pro Tag 16 Erdumkreisungen. Also sieht man die Sonne auch 16 Mal auf- und untergehen. Das ist schon frappierend, wie schnell das geht. Die Sonne rast einem sozusagen entgegen. Und die Farben ändern sich ganz schnell im gesamten Spektrum.

Hans Zimmermann: Sie haben so viel erlebt. Kommen diese Erlebnisse auch in ihren Träumen vor?

Ja (lacht). Ich habe viele Jahre geträumt, dass ich auf der Erde die Schwerelosigkeit erreichen kann. Das war im Traum eine große Anstrengung – aber ich habe es geschafft, zu schweben.

Clemens Rumpf: Die Amerikaner wollen noch vor 2020 wieder zum Mond fliegen, 2030 auf den Mars. Ist das realistisch?

Das muss man abwarten. 2010 werden die Space-Shuttles ausgemustert. Die Flüge, die die Amerikaner bis dahin noch schaffen, werden für den Aufbau der Internationalen Raumstation (ISS) verwendet. Dann gibt es eine Lücke, die die Russen füllen müssen. Das heißt, sie übernehmen den Personenverkehr zwischen der ISS und der Erde.

Die Amerikaner bauen ein neues Raumschiff namens Orion. Das soll 2014 kommen. 2018 oder 2019 wollen sie damit wieder auf den Mond. Die Russen haben auch ihre Pläne veröffentlicht – sie wollen spätestens 2023 ein bemanntes Raumschiff zum Mond schicken. Und nun kommen noch die Chinesen dazu und wollen zum Mond und zum Mars.

Peter Volkmer: Es gibt Verschwörungstheoretiker, die sagen: "Die Amerikaner waren nie auf dem Mond." Wird das unter Astronauten diskutiert?

Nein. Erstens hätten die Russen das sofort gemerkt. Aber die sind sicher, dass die Amerikaner oben waren. Zweitens kenne ich Amerikaner, die dieses Programm damals mitgemacht haben.

Peter Volkmer: Zum Wettlauf der Amerikaner und der Russen um den Mond fällt mir ein Witz ein: Die Amerikaner landen auf dem Mond und melden nach Houston: "Die Russen sind schon da und haben den Mond rot angestrichen. Was sollen wir tun?" Die Antwort: "Nehmt weiße Farbe und schreibt Coca-Cola drüber."

Den kannte ich noch nicht (lacht). Was den Wettlauf um den nächsten bemannten Flug zum Mond angeht, gibt es aber eine interessante These: Es geht darum, wie wir unseren Energiebedarf decken, wenn die fossilen Brennstoffe aufgebraucht sind. Eine Alternative neben erneuerbaren Energien und der Kernspaltung könnte demnach die Kernfusion sein. Dafür braucht man Helium-3, und dieses Isotop gibt es auf dem Mond in großen Mengen.

Hans Zimmermann: Wie haben Sie früher den Wettlauf zwischen Amerikanern und Russen erlebt?

Ich habe es mit Freude erlebt, als die Mir-Station da war, und die Amerikaner mit dem Shuttle angekoppelt sind. Ich dachte: Das ist der Durchbruch. Aber der Kalte Krieg hat das sofort wieder aufgefressen. Heutzutage arbeiten die Russen und die Amerikaner bei der Internationalen Raumstation auch zusammen. Aber die Streitigkeiten beginnen da, wo es um Geld und Macht geht.

Hans Zimmermann: Zum Mars geht es gar nicht alleine. Da müssen sie zusammen arbeiten, auch mit den Chinesen.

Hoffentlich kommt es so.